FRITZ TEUFEL
EINE REISE VOM NECKAR ZUR MOSEL

Mit dem Rad durch den Salat !
Durch Feld, Wiese und Spinat !
Durch das Dorf und durch die Stadt.
Durch Land und Länder und am End`
von Kontinent zu Kontinent.
Besser Luft in Fahrradschläuchen
als Benzin in Autobäuchen !

Donnerstag
Drei Tage auf den Rädern und schon haben wir den Schwarzwald oder doch nördliche
Ausläufer durchquert und sind heute auf dem Zeltplatz Margaretakap bei Muggensturm
in der rheinischen Miefebene gelandet. Nicht das Rauschen der Enz wie gestern in
Höfen und nicht das Liebenzeller Nagoldgemurmel unsrer ersten Zeltnacht, sondern
das Gebraus des Rastatter Autobahnkreuzes ist hier die Nachtmusik.

B.i.v. (bevor ix vojeße) vierzschseksundsechszsch (4066) war der Kilometerstand bei
der Abreise.

Vom südwestlichen Rand Ludwigburgs führen ausgeschilderte Radwege durch Sonnen-
blumenfelder Richtung Stammheim, Asperg, Münchingen. Zur Einstimmung ein reines
Fahrradvergnügen, dann Ortsdurchfahrt, Landstraße, Waldweg, hochschieben zur
Nippenburg, runter zur Glems und über einen schmalen Steg und wieder hoch nach
Hemmingen. Nach den Treppen vom Bahnhof Zoo ist die Überquerung der Glems bei
Nippenburg die erste Schikane. Aber kaum sind wir am Busen der Natur und haben
alle Autos hinter uns gelassen, freun wir uns wie die Schneeköniginnen.

Rauf und runter geht es über wenig befahrene Landstraßen, wobei wir mehrere Neben-
flüsse der Enz überqueren, die selbst der Nebenfluß eines Nebenflusses ist. Hoch nach
Hochdorf (350) und runter nach Riet (248) am Strudelbach. Hoch nach Nußdorf (365)
und weiter nach Iptingen am Kreuzbach. Über Mönsheim und Wimsheim nach Tiefenbronn
an der Würm (432). Über Neuhausen (480) und Unterhaugstett (540) kommen wir ins
Nagoldtal bei Bad Liebenzell (330), ein tiefliegendes, bergumragtes Turistennest. Wir
zelten an der Nagold und genehmigen uns nach den Strapazen des ersten Tages noch
ne Pizza da Francesco. Als einzige sitzen wir abends noch im Freien auf einer Terrasse,
leider nicht weit genug  von der autodurchbrausten  Hauptstraße.

Auf dem C- Platz an der Nagold kaum ein kleines Zelt, aber auffallend viele Wohnwagen
mit Satellitenschüsseln. Hinter den Gardinchen glotzen feiste Rentner in die Röhre. Nach
frühem Aufstand und unbürokratischem Abschied folgt am Mittwochmorgen ein schweiß-
treibendes Vergnügen. In regelmäßigen Abständen von Dieseln umbrummt und von Turbos
umdüst, schieben wir die Serpentinen hoch, hinter jeder Biegung gehts weiter steil nach oben.
Dann rettet uns ein Waldweg, der auch nach Schömberg führt. Später treffen wir in einer
Waldhütte ein Berliner Wanderpärchen, das nach Igelsloch unterwegs ist. Aber Igelsloch
und Siehdichfür sind uns zu hoch, statt dessen gehts lustig bergab durch den Teuchels-
wald am Colmbächle entlang bis nach Colmbach an der Enz und dann noch weiter auf
einem sehr schönen Radweg enzabwärts bis Höfen, wo wir unsre Hütte auf einem schon
sehr verlassen daliegenden C-Platz an der Enz aufbauen können. Kurzer Spaziergang in
die Ortschaft, wo wir kein geeignetes Lokal für einen späten Kaffee finden und vor
einem drohendem Kurkonzert zum Entenkonzert flüchten, das wir im Zelt gratis exklusiv
genießen. Wie am Vortag ist der Nachthimmel klar und mit Sternen übersät.

Weiter an der Enz, die wir in Neuenbürg verlassen, um nicht in Pforzheim zu landen,
wo sich all die unfähigen Geber beim Skat die Finger vergolden lassen sollen, für
Völkerkundler intressant, aber nix für nervenschwache Natursäcke.

Auf und ab. Straubenhardt, Langenalb, Marxzell werden durchradelt, Plinz, Alb und
Moosalb gequert. Wälder, Felder, Bauerndörfer. Immer wieder Steigungen, die zum
Schieben einladen und wunderbare Aussichten bieten und schließlich die lange Abfahrt
runter nach Malsch, von wos nicht mehr weit ist zu dem dummerweise am Autobahnkreuz-
zubringer gelegenen Zeltplatz Margaretakap, der durch Billigtarife, Schmuddelscheiß-
häuser und die hohe Zahl der Dauerwohner beeindruckt, darunter auffallend viele
Bundesrichter in Kognito aus dem nahegelegenen Carlosruhe, die sich hier von ihren
Familien und ihren Leibwächtern erholen.

Am Freitag rasen wir durch Rollstadt bzw. rollen durch Rastatt, was durch ausgeschilderte
Radwege sehr erleichtert wird und über Plittersdorf zur wenig frequentierten Rheinfähre
nach Le Salmengrund. Ohne lästige Kontrollen gehts ins schöne Elsaß über herrliche
Radwege, leere Straßen, verträumte Dörfer und doofe Umleitungen, vorbei an Bau-
stellen in ein Gartencafe in der Töpferstadt Soufflenheim. Hier gibts einen himmlischen
Himbeerkuchen, kännchenweise schwarzen Kaffee für Madamm und töpfeweise
Kaffeeolä für Mösjö. Und dann immer durch die Gluthitze, einmal finden wir
Abkühlung im Wald von Haargenau, wo uns ein weißer Ariadnefaden aus Zahnseide
in den Wald hineinführt. Eine angenehme Brise führt ins Rheintal und pustet uns
vor sich her Richtung Straßburg, das vorübergehend zu Streßburg wird, als wir bei
einbrechender Nacht drei Schandarmen und mehrere Zivilisten mit und ohne Händedruck
bemühen, um den Zeltplatz zu finden, hinter dem Mammut am Baggersee. Mit dem
Fahrrad weist uns ein freundlicher junger Mann einen Platz am Seeufer an. Dort stehen
schon ein paar kleine Hundehütten wie unsere, zum Teil auch von Radlern. Am andern
Seeufer seh ik nachts nur Bäume, durch die bei Tag auch Hochhäuser schimmern. Den
Samstag bleiben wir in Straßburg, unser erster Ruhetag. Das Zentrum von Straßburg
ist eine Insel, die wie das angrenzende Stadtviertel Klein- Frankreich für den Auto-
verkehr unbedingt gesperrt gehörte, es aber leider nicht ist. Am ersten Samedi im
Septembre ist die Stadt von Tausenden von Autos und Hunderten von Reisebussen
überschwemmt, davon die Hälfte aus dem Schabenländle. Leider bin ich selbst eine Schabe.
Suchen wir uns also einen stillen Winkel, schattig in der Nähe einer Fontäne an einem
der Kanäle und kieken, obs was zu zeichnen gibt.

SEHEN, SAUFEN, STADT EINKAUFEN

Und dann heißt es Bagettchenkaufen, Schinken und eine Pâte, die man als Fegetarier
schon garnicht in den Mund nehmen darf. Das kulinarische Angebot in Frankreich mach
Boschs wahnsinnig. Mit einer Flasche Himbeerjoghurt, so groß wie die Betonjoints, die
wir zwischen Seltz und Straßburg in den ländlichen Himmel ragen sahen, kommt Frau L.
vom Mammut zurück, wos auch noch doppelt so große Flaschen gab. Im Handumdrehn
werden neuen Franken durch zwei Kehlen gegurgelt. Abgesehn von lächerlichen Rund-
reisekärtchen vom Verein für Zyklotourismus gibts leider auch in Straßburg keine
anständigen Reisewanderkarten vom Elsaß. Also wolmar nach Colmar und solmar dann
noch das Nadelöhr in den Vogesen suchen?

Ganz offensichtlich ist das Elsaß in der letzten Zeit von Bankräubern geplündert worden.
Überall, wo wir uns hinsetzen wollen, fehlt eine Bank. In den Rheinauen treffen wir viele
dicke Bachnümpfen, die kichernd und gackernd einen Seitenkanal des Rheins durchwaten.
Durch die vielen ausgeprägten Baumpersönlichkeiten kommen wir uns vor wie bei einem
Familientreffen. In Marckolsheim ignorieren wir die Reste der Maginotlinie, trinken
Kaffee und essen Eis und erreichen nach einem angenehm durchradelten Sonntag  Colmar,
zelten an der III. Leider wird Colmar auch montags von zahlreichen Turis heimge-
sucht und von mehreren übelriechenden Kloaken durchflossen. Eine Art Disneybahn kurvt
mit mehreren Waggongs voller Narren durch die engen Altstadtstraßen. Aus der schönen
alten Markthalle bei Klein-Venedig haben sie einen Parkplatz gemacht, weshalb die
Straßen nicht weniger von Autos verstopft sind. Bloß weg aus dieser belagerten Festung.
Die Vogesen locken.

Nachtrag (Sportbericht). Auf der Straße von Marckolsheim nach Colmar sahen wir die
letzten Minuten eines Fußballspiels von der Landstraßenböschung aus. Es spielten die
Einheimischen in Blau gegen eine Colmarer Möbelfirma. Wenn der dicke Zwölfer vom
den Möbelkickern nicht so oft ins Abseits gelaufen wäre und die Kollegen besser
getroffen hätten, hätten wir bestimmt noch mehr Tore gesehen als die zwei sorgsam
gehüteten. Nicht jeder Plumpsack ist ein Maradonna. Himbeerjoghurt und Zwiebelkuchen
sorgen für die geregelte Verdauung.

Als wir in Colmar endlich eine Bank gefunden hatten, wurden wir ständig von einer
Brigade der Stadtreinigung umfegt.

                   Meine Freundin ließ mich alleene
                   Ich blieb sitzen und hob die Beene.

EINE NICHT SEHR TÜPISCHE ECKE

Die erste Regentaufe auf dieser Reise erlebt unser Zelt in der siebten Nacht. Aber am
Morgen kommen wir trocken weg. Was Colmar versprach hält 15 km weiter Kaysersberg,
verschwistert (jumelée) mit Lambarene. Warum wohl?

KAYSERSBERG MIT VOGESEN

Sogar auf dem Turm sind wir gestiegen, wos so dunkel war im Treppenhaus und man
sich an einer als Geländer dienenden Trasse hoch und runter hangeln mußte. Süperber
Blick auf die Ortschaft, die mit ihren vielen Weinkellereien ein bißchen an die Wachau
erinnert, und die ersten umwölkten Vogesengipfel. Abends auf den kommunalen Vier-
sternezeltplatz an der Alspach. In den Vogesen solls noch Wölfe geben, die meistens
in den Wohnwagenanhängern sitzen. Einige aber auch auf den Rücksitzen von Limusinen.

Nach langem Aufstieg bzw. Aufschub, aber schneller als erwartet, erreichen wir am
Mittwoch, den Dreizehnten, den schon etwas gefürchteten Col du Bonhomme. Es
regnet, aber meine Begleiterin, die Bezwingerin des Schwarzwalds, versichert immer
wieder: "Schlimmer als nach Liebenzell ist es auch nicht". Wars auch nicht. In der
Ortschaft Le Bonhomme, 6 km vorm Gipfel, fängts an zu pissen und wir flüchten in
ein Lokal, wo man Brot und "fromage de Munster" serviert und "bonne promenade"
wünscht. Einer Kundin des Hotels ist in der Nacht zuvor das Auto aufgebrochen worden
und so werden auch wir ermahnt, nichts im voiture liegenzulassen.
Rund um den Co gießt es, aber nach ein paar Minuten Abfahrt gibts wieder Sonne
und blauen Himmel. Wir sind jetzt in Lothringen. Aus Versehen fahren wir eine
Straße früher als geplant Richtung Gérardmer und gelangen in ein wunderschönes,
verlassenes Vogesental, das Tal der hohen Meurthe. Und dann heißt es wieder
Schieben. Helene weigert sich, in der Wildnis zu zelten. Man würde ja das Laufen
der Motoren, das Schlagen der Autotüren und das Gebell der Campintölen ver-
missen. Wir schieben unverdrossen, werden nochmal etwas naß vom Anstieg durch
den Wald der Schweineköpfe (Forêt des Têtes des Porcs) und landen nach der zweiten
Abfahrt abends in Gérardmer, Zeltplatz direkt am See.

Als ich am Donnerstag vom Früheinkauf zurückkomme, finde ich das Zelt von
Schwänen umzingelt.

SO UNGEFÄHR IST GERARDMER

Schön ist der See zwischen den Bergen, aber wenn keine Sonne scheint, isses in
600 Metern schon recht kühl. Wie schon gewöhnt finden wir auf dem Zelt -
platz viele freundliche Niederländer. Die Vogesen sind die Alpen der kleinen Leute.
Für zwei Nächte in der vogesischen Schweiz müssen wir 100 Francs berappen. Ein
bißchen viel, finden wir.

Dann: Regen, Regen, Regen. Ein Freitag voller Regen. dafür gehts immer leicht
bergab Richtung Remiremont sur Moselle. Regen, Regen, Regen - er kommt uns
ungelegen. Dreimal finden wir Zuflucht in Bus - Wartehäuschen. Von Remiremont auf
einer wunderschönen Landstraße rechts der Mosel im Regen nach Epinal. Wir
schieben hoch zum Camping Municipal neben dem Stadion.

Ein wunderschöner Platz unter all den Bäumen, ein freundlicher Empfang, sensationell
billig, 20 Franken die Nacht. Wir treffen andere Radler, einen freischaffenden Grazer,
der mit seinem tonnenschweren Fahrradanhänger Marke Eigenbau unterwegs ist nach
Afrika. Er hat gehört, daß es am nächsten Tag 30 Grad Hitze geben soll, was wir
zunächst nicht glauben wollen, aber am Samstagmittag sind wir schon überzeugt und
tätigen schwitzend unsre Wochenendeinkäufe. Am Freitagabend noch werden wir von
einem Ostholsteiner Studentenpärchen zum Kaffee eingeladen, weil Helene so ver-
froren aussieht und palavern noch lange in dem Häuschen, wo die nassen Sachen zum
Trocknen aufgehängt werden und der Grazer repariert im Schein des Minutenlichts an
seiner High-Tech- Maschine.
Eine verstörte Mamsell tritt auf, bezeichnet sich als gardienne, will wissen was
vorgeht, warum wir soviel Licht brennen und nicht in unseren Caravans sitzen.
Sehen wir etwa aus wie Carawahnsinnige? Ein Grieche kommt mit seinem Wohnwagen,
duscht, beschwert sich über die nicht vorhandene Steckdose für den Föhn und fährt
wieder weg. Vielleicht wieder neben ne Tankstelle wie die Nacht zuvor.

Zeltgeflüster:

1. Stimme: "Nicht mal das Halma hamwa jenomm"
2. Stimme: "Halma die Klappe!"

Am Samstag und Sonntag traben wir durch Epinal und lassen uns von Leo Bilder
zeigen und seinen Anhänger vorführen. Ohne Anhänger, sagt Leo, kann er auch
bergauf kaum langsamer fahren als 30 Kilometer die Stunde. Wir steigen auf
den Schloßberg, wo archäologische Ausgrabungen im Gange sind und ich versuche
mich an efeubewachsenen Häusern am Ufer eines Seitenarms der Mosel.

Weil der Kuskuskoch zu einer arabischen Hochzeit mußte, mußte ik mal wieder
Pizza essen.

Am Montag Abfahrt durch hügelige Landschaft. In der Ortschaft Bayon werden wir
von zwei Landgendarmen angehalten. Der ältere erinnert an Louis de Funès und war
schon in Berlin. Unsere Personalien werden überprüft und man freut sich zu hören,
daß wir aus dem französischen Sektor der Stadt stammen. Als wir -  immer noch in
Bayon -  einkaufen, bleibt ein dicker alter Sack mitten auf dem Zebrastreifen stehen
und glotzt, daß ihm die Augen aus dem Kopf fallen. Als wir abfahren dreht er sich
um und glotzt uns nach. "Au revoir, Monsieur !" rufe ich ihm freundlich nach. Keine
Reaktion. Vielleicht waren ihm auch die Ohren abgefallen. Die Straße verläßt die
Mosel und schraubt sich hoch und immer höher  und dann gibts eine schnurgerade
Abfahrt. Abends finden wir zwar die Mosel, aber keinen Campingplatz. Wir radeln
durch eine Ortschaft namens "Maisons neuves", die an Wanne-Eickel erinnert.
Eisenindustrie mit stinkenden Schloten. Als es dunkel wird, schieben wir einen Feldweg
moselwärts und finden ein geeignetes Plätzchen, direkt neben den Eisenbahnschienen mit
Blick auf eine Dorf jenseits der Mosel. Zum Glück fährt die ganze Nacht kein Zug, die
Strecke scheint stillgelegt und es kommt auch sonst kein Schwein vorbei. Einer
unserer ruhigsten Zeltplätze.

Der Dienstag war als schlechtester Tag der Woche angekündigt und tatsächlich müssen
wir bei Pont-a-Mousson nochmal das Regenzeug anziehen. Als wir das Zelt aufschlagen
scheint schon wieder die Sonne. Am nächsten Morgen heißt es über Platzlautsprecher:
"Le boulanger est arrivé, der Bäcker ist auf dem Camping". Der Bäcker ist ne Frau
in einem R 4, sieht aus wie die Schwester von Madam Campingplatz und verkauft
mir zwei alte croissants au chocolat. Besser als gar keine croissants.

Am Mittwoch radeln wir nur die paar Meilen nach Metz und finden den C - Platz
fermée, daneben aber eine Jugendherberge, direkt an der Moselle. Auf Schusters
Rappen durch Metz. Thunfischbagetten und guter Kaffee auf einem riesigen Platz
bei der Kathedrale voller Tische und Stühle diverser Straßencafés, besetzt mit
jungen leuten. Wunderschöne Parkanlagen, aber wenn wir endlich eine schattige
Bank gefunden haben, werden wir von der Stadtreinigung verfolgt, die mit riesigen
Lastwagen durch die Parkwege fahren und mit aufmontierten Baggern Dreckberge
umschichten.

Auf den Parkbänken lieben sich ungeniert die Pärchen. Wir werfen einen Blick in
die älteste Kirche Frankreichs, aber noch schöner ist die mit den bunten Glasfenstern
am Platz der heiligen "Jehanne" von Orléons. Ganz wunderbar schmecken die Kar-
toffelpfannkuchen (crêpes de pommes de terre) für 5 Franken das Stück. Abends
entdecken wir das einzige türkische Lokal der Stadt und essen Gegrilltes mit leckerm
Salat. Die Wirtin versteht mein Türkisch nicht, weshalb ich sie zur Araberin erkläre.
Auf dem Weg zur Auberge humpelt vor uns ein Mann mit Reisetasche und Diplomaten-
koffer. Später schläft er unter mir im Doppelbett. Vorher macht er noch eine Stunde
Radau mit Zimmer - und Schranktüren und Reißverschlüssen. Als er endlich schnarcht,
piept zu jeder vollen Stunde seine Armbanduhr. Schließlich quäkt nachts um halb
vier das Kofferradio eines anderen Zimmergenossen los. Das war zuviel. Nicht noch
eine Nacht in der Auberge der gestörten Gäste. Schweren Herzens verzichtet Helene
auf einen Besuch im gallo-römischen Museum. Bei der Abfahrt treffen wir noch
einen netten Spanier, der mit dem Fahrrad nach Italien unterwegs ist.

Nördlich von Metz erinnert zunächst alles an Oberhausen. Industrie und
Gestank im Bassin von Thionville, der lothringischen Variante des Donezbeckens.
Eine weitere Ortschaft  namens "Maisons neuves". Alles flach und leicht durchradel-
bar. In Thionville steigt ein Doppelgänger Schmittis aus einem Auto mit franzö-
sischem Kennzeichen. Dann wird die Gegend wieder hügeliger und die Gasmasken,
die uns bis dahin gute Dienste geleistet hätten, könnten wir jetzt wieder abnehmen.
Mittags sind wir im Dreiländereck und finden bei Sierck-les- Bains, an der Grenze
zu Luxemburg, unseren schönsten Moselzeltplatz. Ich sitze auf einem Landungssteg
und zeichne. Ein Franzose kommt vorbei, sagt, die Mosel sei schmutzig, er sei auch
Künstler und mache Grabsteine.
Ein Stück nach Thionville sahen wir auf der andern Seite der Moselle die vier riesigen
Türme von Cattenom. Wenn das mal gut geht ! Am Donnerstagabend im Restaurant
Central in Sierck essen wir ein Menü, das nichts zu wünschen übrigläßt.

Am Freitag fahren wir nach Contz und weils in den Bergen zu steil wird, weiter an
der Mosel nach Luxemburg. Der erste Ort heißt Schengen. Später verlassen wir die
Mosel, fahren hoch zwischen Weinbergen und durch den Wald über Elvange und Ellange
durch das sanft gewellte Gutland Richtung Luxemburg City. In Hesperange entdecken
wir den berühmten Radweg an der Alzette nach Luxemburg- Grund, den wir aber nicht
ganz zu Ende fahren, sondern zurück zum Zeltplatz in Alzingen. Die Wege zur Stadt
scheinen zu steil.

Den regenreichen Samstag beginnen wir mit Frühstück im Zelt, dank Luxlait Schoko-
milch und belgischen Cote d`Or  Krokantriegeln steigt Stimmung und Moral zum nach-
mittäglichen Ausflug in der Metropole Luxemburg, die brückenüberspannt mit schönen
Parks Eindruck macht. Es wimmelt von Volk. Wir trinken Kaffee und fahren wieder
zu Grunde, zunächst in der falschen Richtung an der Alzette entlang. Kehrt und noch-
mals der schöne Radweg in voller Länge, abends dann eine Prasserei in der Brasserie,
wo der Wirt aussieht wie Günter von den Tornados und vorzüglich kocht. Pfeffersteaks
mit Pommes und Salat.

Am Sonntag starten wir unsern Trip in die luxemburgische Schweiz, wo überall Kirmes
ist und Helene in Bech zum Trommeln eingeladen wird. Übernachtung dann auf dem
ebenfalls kirmesverseuchten Zeltplatz 1ère classe in Constorf, wo es nach Desinfektions-
mitteln riecht und die heißen Männerduschen sich auch am nächsten Morgen
noch als kalt erweisen, weil am Vorabend die Fußballmannschaft geduscht hat. Abends
nach Trute à la Meunière, die auch mit drei Winzkartoffeln und abschließender Dame
blanche nicht besonders satt macht. Auch die Bedienung sieht im Gegensatz zur Mamsell
auf dem Campingplatz 1ère classe, die tonnenrund war, ganz verhärmt aus, wie ein
Vögelchen.

Bei Regen und Frühnebel vertreibt man sich die Zeit im Zelt mit Schlechtwetter-
gedichten. Etwa so:
Bebel saß im Nebel
und spielt an seinem Hebel.
Da kam das Fräulein Mabel
und bat ihn um ein Autogramm.
Jedoch sie bat vergebl.
Das wär ihr sicher nicht passiert
z. B. mit Peter Bamm.
Zwar muß man Aujust Bebel
verstehn.
Er saß im Nebel,
die Hände warn ganz klamm.
Doch für des Kaisers Kriegskredit
ziert` sich der alte Esel nit.
Drum war er dann auch untendurch`
bei Liebknecht und Frau Luxemburch.

Den Montag beginnen wir mit einer Variante der Echternacher Springprozession. Nachdem
die ersten 5 km von Consdorf nach Berdorf ganz leicht abgeradelt werden, sorgt ein
internationales Baggertreffen in Berdorf mit den damit verbundenen Umleitungen und
Deviationen dafür, daß wir die an sich leicht zu findende Landstraße nach Echternach
verfehlen und über ein Winzdorf namens Birkelt auf einem Acker landen. Ein Blick auf
die Karte zeigt: Echternach ist nah und auch der Bauersmann auf dem Traktor
ruft auf die Frage "Geht`s hier nach Echternach?"  laut und fröhlich "Qui!" Ein vom
Spähtrupp Helene ausfindig gemachter Waldweg führt uns wunderbarerweise nur im
Kreise. Wir sind abermals in Birkelt. Auch der Weg nach Hammhof führt nicht nach
Echternach und wir müssen zurück nach Berdorf. Dort finden wir die wirkliche Straße
nach Echternach. Jetzt geht es steil bergab durch die Wolfsschlucht "grange du loupe"
mit riesigen überhängenden Felsblöcken und zu Tal stürzenden Gebirgsbächen und
Wasserfällen. Wohl die luxemburgische Variante des Grand Canyon. Leider isses mir zu
kühl, um unterwegs anzuhalten und zu zeichnen. Und dann sind wir in Echternach an der
Sure, wo es spottbillig Roth-Händle gibt sowie Kaffee und Kuchen, bzw. tarte des
pommes. Die Sure bildet jetzt die Grenze zwischen Luxemburg und Deutschland, auch
die Sprachgrenze. Die Bedienung im Café und viele Luxemburger reagieren deutsch
angesprochen mit Unverständnis und französisch, obwohl sie untereinander leetzel-
burgisch reden, eine Art moselfränkisches Plattdeutsch. Angesichts der Tumbheit
östlicher Nachbarn sicherlich durchaus angebrachte Sprachbarriere.

Längs der Sure führt von Echternach bis Wasserbillig, wo die Sure in die Mosel
fließt, ein wunderbarer Radweg. Von Gewitterwolken verfolgt, passieren wir am
Nachmittag die deutsche Grenze in Wasserbillig und kaum sind wir wieder an der
Mosel, fängt es an zu regnen. Der Moselradweg bringt uns an diesem Montagabend
noch zu einem Zeltplatz mit altrömischen Tempelchen, Schloß Monaise, etwa 10 km
von Trier.
Am Dienstag gehts weiter an der Mosel. Kurz vor Trier liegt eine tote Ratte mit
blutendem Kopf auf unserm Weg. Was hat das zu bedeuten? Später heißt es in der
Zeitung, ein Professor, der mit Ratten experimentiert habe, sei an derselben Krankheit
gestorben wie seine Ratten.
Angesichts des schönen Wetters und großstadtscheu wie wir sind lassen wir Trier mit
seiner Jugendherberge rechts der Mosel liegen. Später erweist sich der Moselradweg
leider über längere Strecken als Betrug bzw. Bundesstraße mit oder ohne abgetrennten
Randstreifen für Radler. Ziemlich müde erreichen wir abends den Zeltplatz Mühlheim
an der Mosel, wo sich Uschi nochmal die Schürze umbindet, um uns Bratkartoffeln mit
Sülze zu bereiten. Als ein andrer Camper sich eine Salamipizza mit Schinken und
Zwiebeln drüber bestellt, muß sie sich das aufschreiben, um es nicht zu vergessen. Im
Fernsehen läuft eine Sendung über Polen. "Haben Sie ein Erklärung dafür, daß sich der
Butterpreis im letzten Monat versechsfacht hat?" Der interviewte Schweinebauch runzelt
die Stirn. "Der Dieselpreis ist um fünf Prozent gestiegen." Im Campingstübchen lästert
man über die polnische Wirtschaft und die Polen, die in der Nähe von Trittenheim einen
wilden Campingplatz eingerichtet hätten. "Und die Polizei drückt beide Augen zu."

Am Mittwoch fühstücken wir in Bernkastel, wo mir ein Vogel zur Komplettierung des
Bildes aufs Skizzenbuch macht.

VOGELSCHISS ÜBER BERNKASTEL

In Trarabach genießen wir Zwiebelkuchen und Federweißen. Ringsum an den Hängen
von Hunsrück und Eifel: Weinberge, Weinberge, Weinberge. Dazwischen Obst- und
Nußbäume. In Pünderich schlafen wir unter Nußbäumen ein, begleitet vom leisen
Knall zu Boden fallender Nüsse.

Eine Nuß fällt aufs Zelt, als ich aus einem schönen Traum aufwache, in dem es mir
gelungen ist, endlich die Versöhnung des Aktionspolitologen mit dem feministischen
Philosophen herbeizuführen. Eigentlich war es der Feminist, der den Aktionspolitologen
mit mir versöhnte, welcher mir seit geraumer Zeit zu schmollen schien. Den eingeschnappten
Aktionspolitologen wieder aufzutauen, schien fast so schwierig wie die Umgestaltung
(Perestroika) der Berliner Mauer zu einer kulturellen Begegnungsstätte zwischen
Ostfrust und Freßlust. Diese ganz komplizierte Geschichte löste sich im Traum in
Wohlgefallen auf. Reife Nüsse fallen.

Am Donnerstag gehts weiter an der Mosel. Eine bekannte Weinanlage jagt die andere. Je
bekannter die Ortschaften desto überlaufener und überfahrener sind sie auch jetzt noch
Ende September, was den Spaß an alten Häusern und Burgen sehr beeinträchtigt. Am
schlimmsten ist es an diesem Tag in Cochern, wo auch der Fluß seinen Lauf beschleu-
nigt, um möglichst schnell aus diesem Turistiwabohu wieder rauszukommen.

Eine richtige Entdeckung ist dagegen Bremm mit seinem Café Brotkörbchen, wo
Schulschwänzerinnen sich ihre Wundertüten besorgen. Und später eine Ortschaft namens
Pommern, wo ein freundlicher Fahrradhändler mir ein Tütchen Schmierfett für die Kette
schenkt, die pünktlich nach 1000 km zu quietschen anfing. Aber wahrscheinlich noch an
diesem Abend bei der äußerst holprigen Einfahrt zur Moselinsel Treis-Karden bricht eine
Speiche am Hinterrad. Zum erstenmal haben wir dort einen sinnreich konstruierten
Dreieckstisch mit Sitzbänken und Fußbänken fürs Abendbrot. Ein humpelnder Schwan mit
Plattfuß könnte Vorzeichen gewesen sein für zweierlei. Ronnies Wiedergeburt oder
Helenes Wadenschmerz.

Am Freitag, nach dem Frühstück in Klotten an der Mosel fällt mir auf, daß eine Speiche
gebrochen ist. ich frage nach einem Fahrradladen, Pommern ist schon wieder zu weit
weg. Man schickt uns zurück nach Löv, von wo wir dann noch nach Münster- Maifeld
sollen, fünf Kilometer den Berg hoch. Wir verzichten auf dieses eifelhafte Vergnügen
und fahren wieder moselabwärts, Koblenz ist nicht mehr weit. Nun zeigt der Gegenwind
nochmal was er draufhat.

In der City von Koblenz endlich ein Radgeschäft, wo ich für 50 Pfennig eine Speiche
und für eine Mark einen kleinen runden Speicherdreher kriege. Dieweil sich der mitge-
nommene Speicherdreher unter schmutziger Wäsche im Backroller versteckt und keinen
Ton piepst.

Reparaturkosten:  1,50 DM
Reparaturzeit:        10 Minuten

Ab Koblenz gibts nen schönen Radweg am Rhein, wo zumeist die Eisenbahn den Promenaden-
weg für Spaziergänger und Radler von der Bundesstraße trennt. Auf solchen Strecken ist
Radeln ein ungetrübtes Vergnügen.

In Brey am Rhein finden wir direkt am Radweg unsern letzten Zeltplatz auf dieser Reise.
Im Dorfgasthaus Rheingold wird nochmal gut und gern gegessen. Gegenüber von unserem
Zelt liegend abends angestrahlt: die Marksburg. Fast auf jedem Berg, beidseits von Rhein
und Mosel: schöne, efeubewachsene Burgen. Der Rhein ist übersät mit Lastkähnen und
Ausflugsdampfern. Über Bordlautsprecher ertönt Frohsinn: "Alles hat ein Ende, nur die
Wurst hat zwei".

Gegenüber von der Loreley und in Bacharach Reisebusse aus aller Welt, Dampfer speien
Schulklassen aus, die von Lehrern mit Walkie-Talkies durch die Anlagen dirigiert werden.
Züge donnern durch Tunnels, Ruhrpöttler und Japaner fotografieren um die Wette.
Kleingärten, Rebstöcke am Rhein entlang. Vorwärts zum Binger Loch!

Am Samstagmittag, kurz nach Geschäftsschluß, liegt Bingen da wie ausgestorben. Und
früher als erwartet erreichen wir die Rotweinstadt Ingelum und besuchen Käthe, die
uns mit Kaffee und Streuselkuchen bewirtet. Dann wird der Nußbaum geschüttelt und
wir besuchen den Mann auf dem Hundertmarkschein, Sebastian Münster, Hebräist und
Kosmograph, geboren 1488, der in Stein gehauen mit kantigem Gesicht vor der
Remigiuskirche steht. Sehen das alte Posthaus, in dem Goethe genächtigt hat. Den
Fußweg nach Ingelheim fand er, von Freiweinheim kommend, beschwerlich. Warum ist
er nicht mit der Postkutsche gefahren? War dem Meister das Kleingeld ausgegangen?
Hat die Postkutscherinnung gestreikt? Oder hatte er einfach Lust zu spazieren? Die
haben wir auch und sehen noch die Reste der alten Kaiserpfalz, wo Karl der Große
residiert hat und ein Kellergewölbe, wo er gebadet hat, Karlsbad genannt.

Am Sonntagmorgen gehts die Weinberge hoch, vorbei an dem Krankenhaus, wo ich
die Dunkelheit der Welt erblickte, denn es war kurz vor Mitternacht, Juni und mitten
im Krieg. Wir kommen zu einem hochgelegenen Stück Wiese mit Nuß- und Apfelbäumen
und einem Sitzbänkchen, von wo man einen schönen Ausblick hat auf Ingelheim, den
Rhein und umliegende Dörfer.

Mittags finden wir den Platz, wo ich noch ein bisken zeichnen wollte, von sichtver-
sperrenden Autos zugestellt und hören hörspielartige Familienkrachbruchstücke
mutmaßlich betrunkener Fahrzeughalter.

Weiter gehts auf der Straße nach Mainz. Nochmal ein Stück schieben und dann gehts
immer bergab mit Rückenwind. Lange vor Mainz beginnt ein vorbildlich geführter
und ausgeschilderter Radweg, der durch Weißkohl und Rosenkohlfelder und die
ausgestorben daliegende Neubau-Uni, dann neben Straßen laufend noch durch eine
Unterführung direkt zum Hauptbahnhof führt. Eine halbe Stunde früher hätten wir
noch den Anschluß zum Nachmittagszug von Frankfurt nach Berlin gekriegt. So
bleibt der Nachtzug und bis dahin Trödelzeit. Wir machen Brotzeit im Stadtpark und
studieren ausgiebig das dicke dumme Sonntagsblatt. Ein hungriger Plüschhund und eine
verstört fröstelnde Seniorin leisten uns zeitweise Gesellschaft.

Zum Bahnsteig 5 a in Mainz wie überall keine Rampen für Rollstühle und Fahrräder,
nur die üblichen Treppen, wo der Fahrradwanderer, den bepackten Drahtesel schlep-
pend, nochmal ordentlich warm wird.

Bahnhoftreppen, da hilft kein Klagen,
sind so gesund wie Kneipanlagen.

Elf Stationen, die Räder sichernd, in der S-Bahn stehend und schließlich sitzen wir
noch sieben halbe Stunden auf dem Bahnsteig 9 in Frankfurt mit Blick auf das weithin
leuchtende Posthörnchen vom Giroamt, bevor wir in den Nachtzug steigen. Die
Drahtesel sind im Backwang und wir teilen das Abteil mit zwei winzigen Geishas
mit riesigen Koffern voller schwerer Kameras und Motorradteile. Dem einzigen
Kerl im Abteil obliegts, die japanischen Überseekoffer in die Gepäckablage zu
wuchten. Biertrinkende Bundeswehrabsolventen bevölkern die Gänge des Dezugs,
aber ein geheimnisvoller östlicher Geishazauber bewahrt uns vorm Platznehmen
derselben in unserm Abteil.

Ab Bebra wirds ruhiger. Visumstempelnde Bebrastreifen, dann Schlummerlicht.

Am nächsten Morgen radeln wir durch Herbststürme vom Bahnhof Zoo zur Panke.
Helenes Bordcomputer zeigt 1.285 absolvierte Reisekilometer. Jeder einzelne
Kilometer ein redlich verdientes Vergnügen.
Ende



    
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