foto: marlies (bonobo soundbag)


FRITZ TEUFEL
NICHTIG UND WINZIG IN FRANKREICH

1. Kapitel:   Bale - Delle

Frankreich ist ein
großes Land. Wir sind dagegen Nichtig und Winzig
und am 13. September noch im Wilden Wedding (KM: 16611). Dann
donnern die Winznichtigen im Nachtexpress nach Basel und radeln
vom Badischen Bahnhof über den Rhein am Spalentor rechts und die
Burgfelder Straße raus von Basel nach Bisel. Glücklicherweise biselt
es nicht. Ein paar schöne Steigungen entsprechen Nichtigs Neigun -
gen. Und hätte Madame Nulle gerne öfters so eine gemütliche,
schlampige Hütte wie das Hotel du Nord im schönen Delle, wos diese
leckeren Birnen gab und die flambierte Tarte - au warte. Flammeku-
che mußte Winzig ooch versuche. Kein Licht im Bad und keine  Du -
schhaube, aber ein Brunnen vor dem Haus, im Zimmer ein Kinder-
bett und ein begehbarer Schrank, aus dem ab und zu klagendes
Winseln ertönt. Dann Winzigs Stimme: Sei brav Nichtig, morgen
gibts Baguette.    

2. Kapitel:        Delle - Isle-sur-le-Doubs

Am 2. Tag möchte Madame Nullundnichtig die ganze Gegend als très
charmant bezeichnen. Man ist auf der Isle-sur-le-Doubs gelandet, der
Internationale C-Platz macht gerade zu, aber das Hotel de Paris ist
noch viel netter. Schrank, Paravent um die Naßgarnitur und Stühle
und die "Lavendelseife ist einfach irre, mußte aufschreiben", diktiert
Nichtig. Der Tag begann mit Frühstück in Delle und die Kaffeema-
dame vom Hotel du Nord schwärmt als Ex - Speisewagenschaffnerin
von Sylt und Hamburg. Dann stellt Winzig fest, daß er hinten platt
ist und zieht unter großen Mühen einen neuen Schlauch ein. Der
Reifen wollte nicht runter. Aber dann gings ganz munter durch Wie-
sen und Wälder nach Montbéliard, von Winzig Mobiliar genannt, es
geht über den Pont Ludwigsburg zum ersten Mal über den Doubs
und dann ein gutes Stück an Doubs und Kanal entlang. Nicht weit
von Montbéliard verspeisen Winznichts ein ziemlich gehaltvolles Plat
du Jour mit wunderbarer Helenenbirne. In Isle-sur-le-Doubs Siesta,
Spaziergang mit interessanten Häuschen direkt am Doubs à vendre.
Und befriedigt torkeln die Winznichten aus der Pizzeria nestwärts,
auch wenn der Calvados ein bißchen nach Nähmaschinenöl ge-
schmeckt hat. Madame Nulle arbeitet verbissen an einem Essay über
die Rollgeschwindigkeit des Franken und die Notwendigkeit einer
Geschwindigkeitsbegrenzung in Hinblick aufs Budget. In die Rum-
melbuden scheint am Abend Leben eingekehrt, aber dafür fahren
jetzt weniger Züge. Das Wetter hat sich bis jetzt äußerst freundlich
gezeigt. Wenn wir morgens starten, hört es auf zu regnen und
abends scheint einem die Sonne ins Gesicht. Zwischendurch ideales
Radelwetter, abwechselnd kühl und warm in balsamischer Luft. Als
wenn wir im Schlafwagen schlafen, freut sich Nulle über einen vor-
beidonnernden Express. Nulle zählt die Schläge der Kirchturmuhr
mit und ist nach acht schon bei zehn, behauptet Minime und beim
Klavierspielen sei das genauso. "Die Risse an der Decke kommen be-
stimmt von der Bahn", entgegnet Nulle mit der ihr eigenen Be-
stimmtheit.       

3. Kapitel:         Isle-sur-le-Doubs - Besançon

Die Berge am Doubs. Wir sind winzig und nichtig. Jacke an, Jacke
aus. Der Regen wird ein bißchen frecher und dazu kommt zwischen-
durch ein beharrlicher warmer Gegenwind aus südlichen Richtungen
den Doubs hoch. Winzig und Nichtig erklimmen hurtig wie asthmati-
sche Bergziegen Höhen von 500 Metern. Pour le Monsieur un Ménue
complet, pour la Madame cruditées. Kruditäten. Krevetten, daß Mi-
nime erstmals geduscht habend, nach Knoblauch stinkt? Besancon,
Einzug im Schrittempo neben Autokarawanen, vorbei an einem
Markt mit Losverkäufern und Quiz (Nulle hat alles gewußt) und ei-
nem Riesen auf Stelzen. Im Centreville, auch ner Art Isle-sur -le-
Doubs, holen sich die Winznichtes einen Plan von Besançon mit Ho-
tels und landen nach improvisierten Passantenkonferenzen nach ei-
nem Hotel complet und einem Hotel obscuro im Hotel Granvelle.
Richtig ergreifend ist der Auszug der Lahmen und Behinderten zur
mutmaßlichen Teilnahme am Musikfestival von Besançon aus dem
Granvelle. Die Säulen vom Theater und der Oper in Kolonnalunion
bieten Schutz vor dem Regen während die letzten Musikfreunde
strömen und kleckern. Sehr eindrucksvoll die Rue Charles Nodier
und die Rue de la Préfecture mit vielen Hinterhöfen und wasserspru-
delnden Brunnen. Nach den Schwierigkeiten beim Einkauf in Besan-
çon und der Quartiersuche beschließen Nulle und Minime, am Sonn-
tag in der Doubs- Metropole zu verweilen. Ob wir morgen trinken oder
essen, wir sollten Charles Nodier nicht vergessen.
        

4. Kapitel:         Besançon

In den Buchhandlungen ist Nodier nicht ausgestellt, was für ihn
spricht. Die Sonne schein ohn Unterlaß auf Besançon mit seinen
Wirtschafts- und Regionalgerichten, einer eindrucksvollen Präfektur
und der über allem ragenden Zitadelle, unter der die Doubs - Boote in
einem Kanal durchfahren. Wollen hätte Minime schon mögen, aber
Nulle war wieder dagögen. Das dringende Gebot der Siesta, der Auf-
nahme von Käse und anderen Spezialitäten der Comté, wie etwa
dünner Kaffee und gewaltige Schinkenbaguetten als Sandwichs ge-
tarnt. Madame Nulle als preußische Juristin fühlt sich natürlich auch
im französischen Jura wohl. Jura et Natura. Die Franzosen sind ei-
genwillig. Französische Schauspieler haben im französischen Fernse-
hen französische Stimmen. Fragen Sie Claude Brasseur, der war
heute auch als juristischer Maître auf der Scheibe, während Dieter
und Gretchen Dutschke live in der Brasserie bedienten. Gretchen hat
sich bei dem Versuch, unsre Flasche zu öffnen, in den Finger ge-
schnitten. Dieter hatte weite Wege zu gehen.
            

5. Kapitel:         Besançon - Dôle

Nicht nur Dieter. Auch Nichtig und Winzig machen einen weiten
Weg von Besançon nach Dôle. Auf der Karte sind es 37 km. Mit ge-
wollten und ungewollten Umwegen, bergauf, bergab, Jäckchen an,
Jäckchen aus, bringen es die Nichtwinzer auf 81 km, am Doubs ent-
lang durch Felder, Wiesen, Gärten, Wälder. Argwöhnisch schauen
Rinder aller Farben und Geschlechter den Radlern hinterher, als ob
sie ahnten, daß sie demnächst im Resto mit den vielen Brummis mit
vorzüglichem Appetit Boeuf bourgignon essen würden, zwischen
verklemmten Touristenpärchen aus Offenbach und woaß i net. Alle
haben sie Winzig von ihrem Senf angeboten zur Wurst vor dem
Boeuf. Die Offenbacher haben schon zum dritten Mal das Lokal am
Doubs aufgesucht. Warum der Mann so grimmig dreinschaut, wir
wissen es nicht. Die Herzogin von Kent mit Gemahl ist zum ersten
Mal durch den Kanaltunnel gefahren, die klassische Rundreise Tos-
kana - Provence, jetzt schon auf dem Rückweg. God shave the Queen.
Komische Spiegel haben die Franzosen. Winznix sind noch keine Wo-
che unterwegs und haben wie es scheint, schon beide etwas zuge-
nommen. Nulle ist am Rande des Hungerstreiks. Aber Dôle ist toll. Die
alten Kapitale der Comté, das Tor zum Jura, der Geburtsort von Pa-
steur, der sich die schönste Straße ausgesucht hat. Vom Hotelzimmer
blickt Nulle auf den Park, bei dessen Anblick sie dem Gartenbauamt
Wedding eine Studienreise nach Dôle spendieren will. Die dankbare
Menschheit hat Louis Pasteur ein Riesendenkmal gewidmet, das im
Park steht. Straßen, Kais, Kneipen und Collèges sind auch nach ihm
benannt. Die ganze Stadt ist pasteurisiert, aber nicht keimfrei. Viele
Zöglinge und Schüler, Touristen scheint es nicht viele zu geben, um
20.00 Uhr machen die Bars dicht. Minime erwischt mit Glück noch
ein Tartchen, Nulle sagt seit ein paar Tagen ein neues Nachtgebet:
"Haarspray, mir tut der Arsch weh". Außerdem hat sie Winzig er-
schreckt und in Dôle ein Paar Schuhe entdeckt. Dolle schwarzweiße
Dappser. Nicht mal viel teurer als die Nacht im Cloche Merle, wo jetzt
Madame Nullemitbrüll sich dem Kartenstudium hingibt. Den Erfolg
sehen wir hoffentlich morgen.                                     


6. Kapitel:         Dôle - Verdun

Und in der Tat: Am Mardi kommen Nulleminime auf kaum befahre-
nen Departmentstraßen gut weg aus Dôle. Nachdem noch ein paar
Kleinigkeiten in Dôle erledigt wurden. Besuch bei der Francs -Tank-
stelle, Frühstück im Cloche merle (Standard plus O-saft) Kauf der
Mafiaschuhe durch Nulle und Abfahrt instinktiv richtig Richtung
Seurre. Weit und breit keine Berge mehr zu sehen. In der Bar in
Seurre ist schon ein anderes Radlerpärchen mit Zelten, barfüssig,
kurzhosig, verschrammt. Die Frau sah aus wie eine Nulle bekannte
Psychologin. "Bonne route" hat Minime den Chemnitzern hinterher-
gerufen. Jedenfalls wären sie in Chemnitz weniger aufgefallen als an
der Saone. Nulle wirkt ja überall einheimisch. Verfolgt dann den Lauf
der Saone bis Verdun-sur-leDoubs, wo ebenderselbe und die Saone
sich treffen und später als Rhone meerwärts eilen. Nulle und Minime
immer hinterher. Nachdem es den ganzen Tag angenehm genieselt
hat, legt der Regen beim Einlauf in Verdun etwas zu und das erste
kleine Hotel erweist sich als die beste Lösung. Im Mittelalter ist dieses
doubsige Verdun wohl mal belagert worden und die Frauen, allen
voran eine gewisse Person, nach der eine Straße benannt ist, haben
heldenhaften Widerstand geleistet. Minime und Nulle widerstehen
auch allen Versuchungen, ausgenommen ein Pflaumentörtchen, ein
Zwiebeltörtchen und ein als Kuchen getarnter Vanillepudding.
Nachdem man sich überzeugt hat, daß der municipale Camping ent-
weder noch aufhat oder seit August geschlossen ist und daß viele
Mütter ihre Kinder zur piscine bringen oder von der piscine abholen
und dabei mit ihren Autos vorsichtig durch die Pfützen toben, gibts
noch ein zweistündiges Gelage im Hotel-Resto, dessen Höhepunkt für
Nulle eine citron givrée war, eine enthauptete Zitrone mit geeistem
Zitronenschnee gefüllt, auch optisch ein Genuß. Nur schade, daß
Nulle die Mafiaschuhe nicht zum Essen angezogen hat. Im Hotel de
Ville (heißt es wirklich so oder stand es nur auf der doch etwas klei-
nen 0,375-l-Flasche?) ist schwer was los. Von der Gaststube unten
kämen sie auch zur Toilette hoch, mutmaßt Nulle. Das Hotel ist auch
gut belegt und in Nr. 7 schnarrt eine Stimme " biste fertsch? Vorle-
sen!". Es kann aber auch in Nr. 5 gewesen sein.         


7. Kapitel:         Verdun - Simandre

Regen an der Saone. "Demain", sagt der Onkel vom Hotel de Ville, "le
soleil brille". "Demain on mange ici gratis", meint Nulle schlagfertig.
"Sur le veranda", ergänzt der Onkel vom Hotel und man nimmt nach
gutem Frühstück mit reichlich Milchkaffee, Baguette und Würgeku-
chen Abschied von Verdun und Doubs. Alles graue Suppe, wie
gestern. Aber der Regen wird stärker, es regnet Bindfäden, Spaghetti
und Strippen und da Minimenull versehentlich  auf die N 73 geraten
sind, gibts auch noch Sprühregen von an ihnen vorbeidonnernden
extralangen Brummis. Nach einem Barbesuch in Bey (Filterkaffee!)
läßt man sich auf einen sehr hübschen Radweg einweisen, Richtung
Ouroux-sur-Saone. Entgegen kommen ein polyglotter Schweizer Ra-
deltrupp mit Begleitwagen. Da Winzig und Nichtig keinen Begleit-
wagen haben, ist für sie schon um zwei Uhr Endstation an diesem
feuchten Mittwoch. Freundlich wird man im Hotel de la Gare in Si-
mandre aufgenommen. Die durchnäßten Klamotten werden zum
Trocknen aufgehängt und die nassen Schuhe werden zum Zeitungle-
sen verdonnert, dann pflegt man der Siesta. Später ist es kalt und
stürmisch und die knurrenden Mägen werden mit Menüs besänftigt.
Eine Terrine ist keine Suppe, sondern eher so was wie ne Schlacht-
platte, die Minime gleichwohl vergnügt verputzt, während Null sich
an Nieren in Dijon-Sauce erfreut. Die Vanillesoße an Winzigs Char-
lotte chocolat fand Nichtig ebenfalls ganz besonders. Zum ersten Mal
auf dieser Reise hat man sich auf eine ganze bouteille rouge geeinigt.
Das Hotel de la Gare war leicht zu finden, aber wo ist der Bahnhof?
Und solls denn morgen weiterpissen? Zwei Kirchturmuhren schlagen
nacheinander 10.00 Uhr und wenig später ertönt Geschnarch aus
dem Hotel de la Gare in Simandre.                           



8. Kapitel:         Simandre - Chatillon-sur-la-Chalaronne

Außer dem Geschnarche ertönt die ganze Nacht ein Radio, bei dessen
Klang der Onkel von nebenan wohl eingeschlafen ist. Zwischen drei
und fünf bringt eine unruhig umhertigernde Madame Nulle Sinupret
und Aspirin zur Anwendung und kriegt eine winzige Massage ver-
paßt. Dafür ist der ganze folgende Tag regenfrei und am Nachmittag
treibt uns der Rückenwind die letzten Berge hoch. Bergab verliert
Winzig seine Mütze, die von Klette Nichtig geistesgegenwärtig auf-
genommen wird. Auf fast autofreien Straßen zwischen Kühen, Fel-
dern, Vorortstraßen, gehts das Saone-Tal runter. Vor einem Bach
samt Park und Schlößchen in Pont de Vaux oder wo schmeckt der
Camembert besonders gut und das winzige Baguettchen. Dann set-
zen die Winznix zur großräumigen Umfahrung des Molochs Lyon an
mit planmäßiger Zwischenlandung in Chatillon-sur-la -Chalaronne.
Im Hotel du Commerce wird gepennt, bei Don Camillo gibts zur Ab-
wechslung Pizzen und nach der Zitrone von Verdun vergnügt sich
Nulle mit einer Orange givrée als Dessert. Chatillon, mittelalterliche
Bauten und Blumen und ein riesiges altes Holzkunstwerk, eine
Halle, ein kleiner überdachter Marktplatz. Heute gabs den ersten
Wegweiser zur blauen Küste (Cote dÀzur, Balence) und wieder eine
Landkarte wurde, wenn nicht abgeradelt, so doch durchquert. Also
hoffen wir auf eine bonne nuit.

9. Kapitel:         Chatillon - Toussieux

Die Nacht in Chatillon war besser als die vorhergehende. Die nichti-
gen Winzlinge hatten sich noch mit Rhone-Aspirin eingedeckt, das
gut gegen Côte du Rhone und eventuell auch gegen Beaujolais sein
soll. Zwar zeigt der erste Blick aus dem Fenster am Freitag noch ganz
grauen Himmel, aber es gibt einen prima Kaffee. Die Bar wird von
lustigen Greisen bevölkert und ein pudelähnlicher kleiner Hund sitzt
auf dem Tisch mit Herrchen Aug in Aug. Und es regnet nicht. Zum
Aufwärmen radeln die Winselnichten bergauf aus Chatillon raus und
dann geht es durch die Dombes, ein moorähnliches Vogelparadies mit
vielen Seen. Ein blauer Fleck zeigt sich am Himmel und wird lang-
sam größer. Später, nach der ersten Überquerung der Rhone, appli-
ziert Winz zum erstenmal Sonnenöl auf die Birne und fährt mit Ge-
nuß barhaupt. Dann gehts durch ziemlich ödes Industriegebiet zwi-
schen Lyon und Flughafen und im Hotel Hostal werden die Winz-
nichtel beherbergt und beköstigt. Im Fernsehen laufen alberne
Teenager Sitcoms wie "Hélène et les garçons" und danach "Sandra -
Princesse Rebel", eine High-Society-Schmonzette. Werbung und Mu-
sik-clips auch viel schöner als in Knallmagne, in allem haben diese
Nachbarn mehr Geschmack als wir. Brot und Käse auf einer Wiese
im Ödland und nach ca. 76 km und einem letzten Aufstieg in San
Bonnet de Mure (285 m ) landen wir im Hotel Hostal. Ein Abendspa-
ziergang zur Überbrückung der Zeit bis zum Essen erfolgt in selten
promenierter Gegend. Zwei Hunde bellen an der Bahnlinie und dann
endlose Stapel buntlackierter Fässer zur linken, rechts Betonplatten-
fabrikation, dann eine mammutartige Fabrik mit Aufschrift Michelin.
Das Essen wird serviert, ein bißchen wenig. Nichtig lobt die Terrine
(eine Art Rippchen meint Winzig, kein Rippchen sagt Nichtig). Win-
zig findet das Entrecôte bitter und vergiftet, Nichtig findet es normal.
Der birnige Kuchen und der Kaffee sind wieder in Ordnung, die ca-
nard d' echainé war gut und saftig im Preis. Nichtig begehrt zu wis-
sen, wie weit isses von hier bis Valence. Nach einem Blick auf die
Karte peilt Winzig über den Daumen : 100 Fahrradkilometer. Haupt-
sache, wir haben den Koloß Lyon glücklich umschifft, findet Winzig.
"Haarspray,mir tut der Arsch weh!", lamentiert Nulle. Le Kaschébé
(KGB) ist auch hinter der Prinzeß-Rebellin her. Vielleicht war das
Entrecôte für sie vergiftet.                       


10. Kapitel:         Toussieux - Le Péage

Adieu Toussieux! Unaufhaltsam fressen sich die radelnden Raupen in
den Süden vor und erreichen am 10. Tag der Reise als bisher südlich-
ste Breite den 45 1/4ten Breitengrad in Péage de Roussillon.
Rechenaufgabe für Nulli: Wann erreichen wir bei diesem Tempo den
Äquator? Nach ein bißchen Morgennebel scheint wieder den ganzen
Tag die Sonne über Null und Nichtig an der Rhone. Ein Abstecher
nach Mions bringt sie fast wieder ins gut umschiffte Lyon. Die
Landwirtschaftsbank dort gibt auf unsre Schecks keinen agrikul-
turellen Kredit. Und vorschriftsmäßig rückwärts durch die Einbahn-
straße radelnd entfernen sich WiNi in Richtung St. Symphorien
l'Ozon, wo sie beim Credit Agriculturel d`Isère viel netter sind. Dann
gehts neben der Bahn und Autobahn auf der Departementstraße rho-
neabwärts bis Vienne, wo diese sich für ein paar Meilen in eine
Rennstrecke verwandelt. Dann verschwinden Autobahn und Natio-
nalstraße hinter Bergen Richtung Isère und unsre kleine Straße an
der großen Rhone wird richtig idyllisch. Links mittelhohe Berge,
rechts ziemliche Riesen in Sichtweite wie z.B. "Les Trois Dents", drei
über tausend Meter hohe Zähne, während das Rhonetal 800 Meter
tiefer liegt. Raupenfutter gibts nochmal in St. Clair sur Rhone, be-
legte Baguetten mit Charcuteriewaren und Cornichons, dazu Kaffee
und ein großes Glas kalte Limonade in einer Bar beim Einkaufcen-
ter, wo Nichtig mit ihrem Fahrzeug den Eingang zur Pharmacie
blockiert, irrtümlich für die Anführerin einer dort lungernden Rocke-
rinnenbande gehalten und vorübergehend festgenommen wird. All
das wendet Winzig in letzter Sekunde durch kluges Besänftigen der
Apothekerin ab. Wo waren wir stehengeblieben? Raupen in le Péage
de Roussillon. Nächtigen im Hotel du Centre und essen zwei Häuser
weiter. Salade du museau, das wissen wir jetzt, ist Ochsenmaulsalat.
Schwäbische Küche im Rhonetal - wenn es schmeckt isses kein Skan-
dal. Gut war auch die Genueser Schokoladentorte. Nachdem der Ver-
kehr abgeflaut ist, ist es richtig schön im 2. Stock des Central und un-
ten kann auch niemand rein, weil Winzig nach Ansicht Nichtigs das
falsche Schloß verriegelt hat. Ein Abendspaziergang vor dem Essen
führt sie zweimal unterm Bahnhof von Le P
éage de Roussillon durch,
aber die Rhone haben sie nicht gesehen. Vier Immobilienschaukästen,
zwei Schuhläden. Wieviele Immobilienschaukästen werden Winzig
und Nichtig auf ihrem Weg zu Äquator noch besichtigen und sind
sie morgen etwa in Valence? Im ersten Hotel, wo Winzniks in Le
P
éage um Quartier fragten, fragt der Wirt zurück. "C`est pour l`
après-midi?" und erklärt dann, er hätte die ganze Nacht singende
Sportler im Haus.

11. Kapitel:         Le Péage de Roussillon - Valence

Wie es dem Reiseschicksal gefällt, sind Minullis am Sonntagabend
tatsächlich in Valence. Im Bahnhofsviertel im Hotel Splendid nimmt
man die Räder mit aufs Zimmer und bezahlt im voraus. Zweihundert
Meter weiter überragt ein romanisch-maurischer Kirchengigant die
Stadt, grüßte schon von weitem und grüßt seinerseits die Berge am
anderen Rhoneufer. Die Mafiaschuhe aus Dôle hat Nichtig in einem
valentinischem Schuhgeschäft wiedergesehen, 10 Francs bülcher. "In
Arles kriegste se nachgeschmissen" vermutet Winz. Und am Äquator
kriegste noch ein Kamel dazu, wenn du dir solche Schuhe schenken
läßt. Letzte Nacht haben Minullis sehr gut geschlafen, noch dazu
wurde uns die Stunde zurückgegeben, die sie im Frühjahr geklaut
hatten. Sommerzeit - Winterzeit. Der Weg nach Valence, nach einer
Ehrenrunde durchs Industrieviertel von Rhone Poulenc bei Roussil-
lon, meist auf schönen kleinen Straßen an der großen Rhone. Die
Sonne scheint und man begegnet radelnden Großfamilien und Hin-
weisschildern auf einen Drome- Radweg. In einem einfachen Billiglo-
kal in Tain l`Hermitage gibts die tollsten Sachen: Fausse Filets und
geschmortes Endiviengemüse und herrliche Käsesorten, fromage
blanc avec crème und fromage sec, von dem Nulle noch sprechen
wird, wenn die Flüsse aufwärtsfließen. Schön war die lange Einfahrt
über die Isère und zwischen Rhone und Kanal auf Valence zu mit
dem alles überragenden Tadschmahal, der auf dem abendlichen
Spaziergang zwischen Patisserie und Sandwichbar respektvoll um-
schlichen und bestaunt wird, auch ein schönes Schimmelklavier, eine
alte Treppe und die Leute von der Place Victor Hugo gehören zu den
Sehenswürdigkeiten von Valence. Das Méteo von TV1 sagt für mor-
gen Regen an und auch Derrick wackelt höchst bedenklich mit dem
Kopf. Die Räder steehen an der Duschkabine, Schrank und einem
der zwei Betten. Für den Hoteleingang gibts einen Zahlencode. Beim
dritten Versuch hats geklappt. Parole? "La Tour de France recom-
mence". Bisherige Stregwecke 679 km, Tagesmittel 67,9. Napoleon
war schon als Offizier in Valence und ist später nochmal zurückge-
kommen. Valence, Stadt der Künste, der Architektur, des Militärs, der
Mühseligen und Beladenen. Und Mistral hat natürlich auch seinen
(Dijon-)Senf dazugegeben.          


12. Kapitel:         Valence -  Viviers

Wenn der Mistral ein kalter Nordwind im Rhonetal ist, dann haben
Minulli ihn heute kennengelernt, auf der Fahrt von Valence nach
Mont Viviers. Jetzt sind wir richtig in der Provence angekommen und
das Hotel heißt auch so, Viviers, mittelalterliche Kleinstadt mit allen
Schikanen: Kathedrale, Burg, an den Berg geklebte Häuser. Von
oben Panorama über die Rhone und ihren Nebenfluß Escotay. Auf
dem andern Rhoneufer liegt Chateauneuf aber nicht aus Pappe, son-
dern du Rhone, etwas südlich von der Nougatmetropole Montélimar.
Abends an der Table d`Hôte sind Numi die einzigen Gäste. Jean
kommt dauernd nachschenken und zaubert linkisch unter silbernen
Hauben Estragonfischfilets hervor, die ihresgleichen suchen. Winzig
ist mittlerweile fromageblancsüchtig, Nichtig kriegt zum Dessert
einen Zitronenkuchen, überbacken mit Bonsaiküßchen. Allerliebst.
Ein bißchen erinnert Viviers an Spello in Umbrien, eine verzauberte
Dornröschenstadt, fast ganz von allen Touristen verlassen. Zwei wei-
tere Feinschmeckerlokale möglicherweise völlig verwaist. Eins heißt
"Carpe diem". Beim abendlichen Spaziergang ist Winzig endlich mal
in einen Hundehaufen getreten und Nichtig hat von den ersten
Waldkackversuchen einen Unterhosenwaschzwang mitgebracht.
Aber nach dem Provencemenu mit einem süffigen Kot du Rhone ist
man plötzlich verdächtig guter Laune und sieht die Weltprovinz in
einem besonderen Licht. Eins der größten AKWs, eingebettet zwi-
schen zwei Mammutzementwerken haben  Winzniks heute aufm
rechten Rhoneufer passiert (RN 886). Nichtig zählte drei Kühltürme,
Winzig deren 6. Eine Mauer aus dem 12. Jahrhundert steht draußen
im Flur. Letzte Nacht hat es geregnet, zweimal waren wir heute am
Rande einer Husche, aber was jetzt so rauscht ist der Wind, befindet
Nichtig vom Fenster her. Auch habe sie keinen Stern gesehen. Der
aufgeschnittene Berg bei dem einen Zementwerk sah auch sehr lek-
ker aus. Vom Mont Vivier aus konnten Winzniks noch nen Teil des
zurückgelegten Wegs erkennen. Nachdem wir auf einer ganz
schmalen Rhonebrücke mit starkem Seitenwind aufs rechte Rohneu-
fer gewechselt sind befinden wir uns im Departement Ardèche. Das
Schärfste aber war, meint Nichtig, wie die Katze auf dem anderen
Stuhl saß. Jean hat sie ungefähr sechsmal rausgetragen. Sie habe
gestunken und sei rollig gewesen, meint Nichtig. Ja, drollig, bestätigt
Winzig. Nichtigs Uhr zeigt zehn. In einer Viertelstunde ist Bettruhe.
Wir bitten, den Verkehr auf der RN 86 einzustellen.

13. Kapitel:         Viviers Orange

Trotz unserer Vorstellungen wurde der Verkehr auf der RN 86 nicht
eingestellt, doch auf andern Straßen gelangen Winzig und Nichtig
über die Rhone nach Chateauneuf du Rhone, bestehend aus ein paar
Häusern und einer Baustelle, die die Zufahrt zu der von Winzig ge-
planten Route versperrt. Nach einer Ehrenrunde durch die Rhone-
landschaft mit aufgeschnittenen Bergen und Atommeiler gelangt
man nach Donzère und auf einer schnurgeraden D. nach Bollène, wo
es in einer Bar einen Tagesteller gibt mit Salat und Dijonsoße, Reis
und provenzalischem Labskaus aus Kabrei, Fisch und Käse. Nach
der Käsestraße und nach der Zementstraße sind wir jetzt auf der
Straße des Weines mit wechselnden Aussichten auf einen dicken Be-
gleiter zur Linken. Es ist der windige aber nicht winzige Berg Mont
Ventoux, wie Nichtig richtig vermutete. Die Landschaft ist jetzt un-
eingeschränkt südlich, Wein, Oliven, Zypressen. Windumpfiffen wie
der Mont Ventoux ist auch die berühmte Arena in Orange, die die
Römer hier hinterlassen haben. Heute gibts nicht die Pantomime "Die
Entscheidung des Paris" nach Apulejus, sondern das Stück "11 Touri-
sten aus 5 Ländern proben die Akustik". Im Museum gegenüber wird
die Verbindung zum Haus Oranien hergestellt. Dazu viel Stadtge-
schichte von Orange, wo keineswegs alle Häuser orange sind. Unser
Hotel heißt zufällig auch Arène, Inter-Hotel, ziemlich groß und etwas
teuer, riecht nach Stasi-Elektronik. An einem Kabel aus der Wand
hängt die Fernbedienung und wirkt in allen Funktionen etwas hirn-
amputiert. Alle Filme spielen in der Provence. Nichtig möchte noch
was vorgelesen kriegen, aber Winzig kann ohne Zähne nicht lesen.
Die ruhen schon in zwei Gläsern im Bad.      
  


14. Kapitel:         Orange Mérindol

M
érindol, Waldensernest am Hang des Montagne du Luberon, heute
fest in Schweizer Hand, zumindest die Auberge mit Swimmingpool
und Tennisplatz. 16 Hotelgäste, davon 14 Schweizer, drei Mühselige,
drei Beladene, zwei kesse Väter, drei bis vier nette Ehepaare, dabei
eine Frau mit Nichtigs Jeansjäckchen. In der Küche Rumpelstilzchen.
Überall hängen Bilder von Robert Protter, der hier aus eigener
Tasche ständig Geld zusetzt, einen Spitzenkoch beschäftigt
(Rumpelstilzchen) und für 80 Mark Halbpension den Gästen ein
Hundertmarkmenu verabreicht, plus Frühstück, nur daß sie sich
seine Bilder anschauen müssen. Seine Frau scheint das alles zu ver-
drießen. Von Orange aus ist man durch Chateauneuf geradelt, dies-
mal das echte Chateauneuf du Pappe, beschwingte Weinfelder,
hübsche Ortschaft, weinerlicher Geruch. Durch Cavaillon, bekannt
durch seine Melonen, sagt der Reiseführer. Hast du vielleicht ne Me-
lone gesehen? fragt Winzig. Die meisten hatten nicht mal Mützen.
Über die Melonenstadt Cavaillon (Seid umschlungen, Melonen!)
durchs Tal der Durance. Vorher aber noch ein Besuch in der geram-
melt vollen Fernfahrerkneipe in Chateauneuf de Cardagne, wo vier
schöne Beine um die Wette flitzen, um an die hundert laute Männer
mit viergängigem Menu und Getränken zu versorgen. Als wir kamen
standen schon Zwei Schlange, weil das Lokal voll besetzt war. Kurz
war man unschlüssig, dann winkt uns ein netter Onkel rein. Kaltes
Buffet, Tisch noch Kriegsschauplatz. Nach 10 Minuten beginnt der
Kriegsschauplatz sich zu beruhigen, Steaks, Käse, Eis. Dagegen am
Abend das Schweizer Zeremoniell, bei dem sich Nichtig vom Meister
noch Wein und Grappa empfehlen läßt. Der beklagt sich darüber,
daß hier nicht alles so perfekt funktioniert. Gut, die Tür kann man
nicht abschließen und manchmal gehen Lichter im Bad oder auf
Nichtigs Nachttisch oder auf dem Parkplatz draußen an und aus,
weil Rumpelstilzchen rumpelt, aber man kann im Rollstuhl unter die
Dusche fahren und in Designerbetten von Gautien auf die Bilder von
Robert Protter kieken und dann fängt man an, seine mißmutige Ma-
dam zu verstehn. Aber alles verblaßt gegen das Schauspiel des
Abendhimmels überm Luberon. Exzellente Farbmischung himmli-
scher Heerscharen, in ihrer Leuchtkraft von irdischen Pinselschwin-
gern kaum zu erreichen. Rot- und Blautöne. Schnarchtöne aus dem
Bettchen von Madame, die schon beginnt, den teuren Rausch auszu-
schlafen, neuen Abenteuern und Überraschungen entgegen. Das
Wetter heute: Sonne, Mond und Sterne.

15. Kapitel:         Mérindol Aix-en-Provence

Sonne bleibt. Und Mistral. Von Mérindol, Schweiz, nach Aix-en-Pro-
vence. Meistens als Rückenwind am Lubéron entlang bis Cadenal
und über die Chène de la Trévaresse klettern die Bergadler auf 300
Meter Höhe. Zweimal springt Winzig die chène de la bicyclette ab,
einmal beim Hochschalten, das zweite Mal, als der Mistral das
geparkte Rad umschmeißt. Dann gibts ne lange Abfahrt nach Aix-en-
Provence mit sanfter Landung imRenaissance, ersten Spaziergängen
in Aix und vorzüglichen Menus im Cintra, schräg gegenüber vom
Hotel mit Bad und monegassischem Fernsehprogramm. Aix ist von
Bergen umstellt, Nulle gestärkt von oeufs mimosa, mousse de canard
und Minime von feuilleté de fromage sehr angetan, werden nach dem
Essen vom Mistral ins Hotel gepustet. Demain commence un autre
jour à Aix-en-Provence.                     



16. Kapitel:         Aix-en-Provence,  Marseille

Vendredi. Nulle und Minime holen auf dem Bahnhof in Aix War-
tenummer und Auskunft und ziehen wackelnden Hauptes von dan-
nen. Kein Zug von Marseille nach Basel, der Fahrräder mitnähme.
Höchstens verpackt und als Handgepäck. Sind wir denn Christo? Also
eröffnet sich die Aussicht, in den restlichen zweieinhalb Wochen nach
Basel zurückzuradeln. Cóte d`Azur Adieu! Auf dem schönsten
langgestreckten Platz von Aix, voll mit Tischen und Stühlen von zwei
Dutzend Straßenrestaurants nebeneinander, sitzen mittags Nichtig
und Winzig und lassen sich beim Vietnamesen Calamares curry und
Filet du loup schmecken. Am Nachmittag erfolgt der kurzfristig ge-
plante kulturelle Höhepunkt der Reise, der Besuch der Marseiller
Oper, die leider erst am 19. Oktober eine Vorstellung hat.
Dann gibts Richard Straußens Frau ohne Schatten. Am 19. Oktober
sollten wir wieder in Berlin sein.

Vom Bahnhof in Marseille die Treppe runter und immer geradeaus,
schon stehste vor der Oper. Nein, Konzerte gibts auch nicht. Und
auch keine Führung für Nichtig. Dem Mittelmeer, hier vertreten
durch den Alten Hafen von Marseille, wird noch ein Anstandsbesuch
abgestattet. Man riecht, daß Marseille mit Hamburg, Schanghai und
noch ein paar großkalibrigen Häfen schümmeliert ist. "Nehmen Sie
den Bus, der braucht nur 10 Minuten, die Bahn ne ganze Stunde".
Der Bus nach Marseille stand 20 Minuten im Stau und brauchte 35
Minuten. Immer bergab auf der Autobahn. Knapp zwei Stunden wa-
ren Nichti und Winzi in Marseille, 23°, 20". Dann fahren sie mit der
Eisenbahn zurück nach Aix in 46 Minuten. Zweiter Besuch im Cin-
tra. Die teuren Menus sind nicht immer besser. Muscheln gut, Fisch-
suppe gut. Aber Winzigs Mut zum Risiko "jarret aux choux" osä. wird
mit Eisbein und Unmengen fadem Sauerkraut bestraft. Schmeckt wie
der Bart von Käptn Bilbo. Auch Nulle würgt ohne die sonst übliche
Begeisterung ihren Grillmix mit Fritten runter. Ein scharfes Getränk
und die Berge von morgen werden für die Verdauung sorgen. Nach-
zutragen bleibt ein Bonsaifrühstück, bestehend aus einem Fingerhut
voll Kaffee und einem Schokoladenbrioche, sehr lecker, für 8 Francs
und der Erwerb mehrerer Postkarten durch Nulle, die damit die Welt
und sich selbst mit Glück zu bekleckern gedenkt. Meiden wir die
Schweiz und die Großstädte. Mon Dieu, parbleu!

17. Kapitel:         Aix-en-Provence - Saint Rémy

Von Aix-en-Provence nach Saint Rémy-en-Provence ist es für Winz-
niks eine Tagesreise, zwei Berge zum Üben. Von Aix nach Eguilles,
dann über Quatre Thermes nach Salon de Provence mit seinen
Kommunisten, Damen und Löwen. Rechts die Alpillen, links das
Rhonedelta. In einer Vorortsalonbar noch ne Stärkung mit Kuchen
aus einer Patisserie nebenan. Weinberge, Felder, Gestrüpp, Radfahrer,
die uns entgegenkommen oder überholen. Einmal ein waschechtes
Kollegenpärchen mit Packtaschen und Mützen. Wir riskieren die
Überquerung der Alpillen, vorbei an dem noch etas höheren Les
Beaux de Provence, keuchend und bremsend, Serpentinen hoch und
runter zwischen zackigen Bonsaialpen nach St. Rémy, wo mehrere
Hotels ausverkauft sind, darunter das allerschönste, "Reine Jeanne"
mit seinem wucherten, reich verblümten Innenhof. Der Wirt samt
Schäferhund und Freund war "désolé". Schließlich finden Minulli
noch ein Plätzchen im Châlet Fleuri, wos auch was zu dinieren gibt.
Provenzalisches Süppchen mit Tomaten und Käseeinlagen, eine sol
meuniere für Nichtl und canard-Teilchen in grünem Pfeffer für
Winzl, Käse und Zitronenkuchen. Im Gegensatz zu den andern Ti-
schen wird bei Radfahrers alles ratzekahl weggeputzt und nix geht
zurück. Da freut sich die Küche, Van Gogh hängt an den Zimmer-
wänden, "Van Gogh" als Hotel hatte der Untröstliche empfohlen.
Saint Rémy - finden wir am Ende noch ein Ohr unter der Matratze?
Madame Nüll hat ihres auf die Kopfrolle gelegt und lauscht
geschlossenen Augs auf ihre regelmäßigen Atemzüge, heute ohne
Geschnarch. Das waren die Alpillen, besser als alle Pillen. Mon Dieu,
das muss man dir schon lassen: Gutes Wetter, schöne Straßen, Futter
auch nicht ohne Reiz, halb so teuer wie die Schweiz. Winzigs Füller
ist in Aix geblieben, vielleicht wird nochmal was Gutes damit
geschrieben. Mon Dieu, parbleu, fromage blanc. Croque monsieur
und croque Madame haben wir noch nicht gehabt. Je suis désolé.


18. Kapitel:         Saint Rémy - Uzès

Dimanche,1. Oktober. Jeder Tag Sonne ist ein Regentag weniger.
Der Countdown läuft. Seit Marseille hat sich die Reiserichtung von
Nulle und Minime umgekehrt, ohne Haarspray wirds nicht abgehn.
Bei Sonnenschein und Hitze gehts zwischen herrlichen Seqquoia-Ei-
chen von Saint Rémy nach Taracon über die zweiarmige Rhone, am
Hafen von Beaucaire entlang über Remoulins und Pont du Gard, wo
der leichtere Weg am rechten Ufer des Gard oder Gardon Winz
Nichtig um den Anblick der berühmten Brücke samt Aquädukt vom
Pont du Gard bringt. Die alte Stadt Uzès ist eine Entdeckung und
hätten Winzniks mehr Zeit, wäre man gerne einen Tag länger
geblieben, hätte dem Pont du Gard noch nen Besuch abgestattet und
hätte die Küche des wunderbaren Einsternehotels "Hotel Provencal"
probiert, die heute zu ist. Renaissancefürsten und Bischöfe haben in
Uzès um die Wette gebaut und das Ergebnis hat gewonnen. Die Pla-
ces des herbes, wo Nichtig keine raisins au rhum und auch sonst
keine Kugel kriegte, mit ihren Arkaden, Eichen, ZDF-Fernsehteams
und anglojapanischen Leichtgepäckradlern mit Brillenrückspiegeln.
Der Tour Fenestrelle ist nach Ansicht Winzigs eine elegantere
Version des Turms von Pisa. Im Restaurant Abbaye ist am Abend die
Hölle los. Manche Gäste warten Stunden, andere werden abgewiesen.
Man ist "désolé". Nichtig und Winzig werden vorzüglich bedient,
salade de foie de volaille und rognons d`Agneau, also die inneren
Organe von unschuldigem Geflügel und Lämmchen zieht sich
Winzig, Nichtig den dritten oder vierten Niçoise und boeuf  emincé
rein. Nichtig aktiviert auf dem Heimweg das Tretminenradar und man
gelangt ohne Hundescheiße an den Schuhen ins Hotel, das sogar
noch knapp unter dem Formule Une liegt, wo sich Winznis heute
beim Haus Tarascon informiert haben. Die Reise nach Uzès war ein
voller Sükzess.

19. Kapitel:         Uzès - Vallon Pont d`Arc sur Ardèche

Winzig und Nichtig radeln am Montag westlich der Rhone am Rande
der Cevennen. Zuerst bergab von Uz
ès, später von der Straße nach
Lusanne sehen sie Uzès schon unten liegen. Durchs Land der Ziegen
und Barriguen, soweit das Auge reicht undurchdringliches, grünes
Gestrüpp: die Barrigues. In Barjac ergänzen sie ihre Barschaft bei
einem polyglotten schwarzen Monsieur vom Credit Agriculturel. Bei
der Abfahrt in Uzès fordert ein dicker Bacchus zehn Francs für
seinen Durst und auf den Flügeln seiner guten Wünsche kommt
Nichtig gut die Berge hoch, verliert im Bois de Larnac nur 5 Minuten
gegen Winzig, in den Alpillen waren es noch 7. Oder hat Nichtig die 5
Minuten erst in Barjac verloren bei dem Aufstieg, der der Abfahrt
nach St. Jean de Maruéjols vorausging? Nee. Wieder bergab errei-
chen Winzig und Nichtig am frühen Nachmittag die Wildwasser-
schluchten der Ardèche, wo man von den Brücken in Vallons Pont
d`Arc, auf der allerdings die Drehstühle fehlen, einen wunderbaren
Panaoramablick auf die Berge ringsumher hat. Nichtig und Winzig
gehen in einem Einsterner, Hotel du Parc, vor Anker und speisen bei
Madame du Schal zwischen neun Touristen und Felix Krull zwei
Menus 88 mit bemerkenswert guten Leichenteilen, Apéritifs und
Calvados. Der erste, der schmeckt. Auf den Bergen Streicheleinheiten
von einem milden Südwind, die Sonne läßt sich nur ab und zu blic-
ken, es wird auch so ganz ordentlich geschwitzt. Als Landkartende-
tektive kreuzen Winzig und Nichtig durch Berg und Tal in Richtung
Bâle. Es könnte sein, daß man morgen wieder vor den Bergen über
die Rhone flüchten muß. Nichtig hat zwei Moskitos gekillt. Werden
sich deren Verwandte morgen rächen?        


20. Kapitel:         Vallon Pont d`Arc  - Montélimar

Am Dienstag flitzen, keuchen, gurken, kariolen und trampeln Nichtig
und Winzig durch düstere Gebirgspanoramen knapp an La ville de
Dieu vorbei im Bogen zur Rhone zurück, bei Le Tell über die Rhone
und über die Drome in die Nougatmetropole Montélimar, wo in einem
verflucht hübschen nur zwei Sterne Hotel Sphinx aus dem 17.
Jahrhundert die Drahtesel und ihre Treiber Nulle und Minime ein
hübsches Plätzchen für die Nacht finden. Man begnügt sich mit
kalter Küche :Obst, Käse, Brot, Wein, Nougat. Im Stadtpark gibts
schwarze Schwäne, Pfauen, Bambis, Ziegen, Radfahrerinnen. Den
ganzen Tag im Gebirge hat es nach Regen ausgesehen. Aber nur am
frühen Vormittag in Vallon und am späten Abend in Montélimar
gabs nen kleinen Guß. Montélimar grüßt Monte Elmar i Felice in
Sardinien. Sieht Nichtig eine Speisekarte, dann muß der Suizid noch
warte. Madame Nulles Abendgebet ist um einen Passus erweitert.
"Haarspray, mir tut der Arsch weh. Ach nee, ük jlob, ük hab
Zahnweh". Zahllose kleine Flüsse mit unaussprechlichen Namen ha-
ben Nulle und Minime überquert, gesehen, wie nebenan die Bahn im
Tunnel verschwand und die Berliner S-Bahn auf römischen Aquä-
dukten spazierenfuhr. Und heute ist Nulle endlich mal ringetreten.
Montélimar, Tatort Fußgängerzone: Tretmine wie alter Käse, riecht
nach Nougat und Pomeranzen. Sind die Fahrräder noch da? Vom
Fenster können wir auf die Räder runterkieken, die in einem stillen
Winkel des Innenhofs stehen. Vielleicht sind die Sättel ein bißchen
naßgeworden. Brave Tierchen, brauchen keinen Hafer, nur Reifen
und ein bißchen Bremsgummi. Aufgabe für Professor Wägerle:
Beschreiben Sie die Physiognomie eines typischen Nougatfresseres!
Gehnwa morgen wieder essen? Pour moi un menu complet, pour la
madame rien du tout! Gestern hamse wieder ne Bombe in der Südsee
gezündet und die französische Geheimpolizei läßt verführerische
Geruchsschwaden durch die centre villes blasen, um die
Hungerstreiks herumradelnder minimaler Nullen im Keim zu erstik-
ken. Nous sommes des victimes innocents de la cuisine française. Du
vin und vom Käs.

21. Kapitel:         Montélimar  - Crest

Fast garnicht durchnäßt gelangt man nach Crest. Einen ganzen Tag
Regen hat der Onkel im Hotel Sphinx in Montélimar vorausgesagt,
doch dann gehts wieder hurtig durch die Berge, nach einer Stärkung
im Ogre à Puy St. Martin gelangen Nichtig und Winzig über einen
kaum 500 Meter hohen Berg nach Crest, wo der größte Donjon
(Burgfried) Frankreichs die Drome überragt. Im Hotel du Pont be-
rappt man en avant. Im Restaurant zwei Häuser weiter hinterher
und etwas mehr. Wieder verliert Nichtig am Berg gegen Winzig 7
Minuten. Später geht auch noch die Maultasche auf und ein Besuch
Nichtigs in einer französischen Zahnarztpraxis scheint vorerst nicht
vonnöten. Man ist immer noch in der Provence, "Drome Provencal"
mit einigen Hinweisen auf den Radwanderweg "La Drome en vélo",
der mit dem à la carte routière et touristique Michelin gewählten der
Minullis teilweise übereinstimmt, Nichtig hat trotz aller Strapazen
eine auffallende Ähnlichkeit mit dem reifenrollenden Michelinmännle
auch am 22. Reisetag behalten. Die Duschzelle im Hotel du Pont sieht
aus wie ein chemisches Klo. Aus dem Fenster blickt man auf
Alpentrümmer wie die Grande Goulets mit 2993 und etwas weiter, la
grande Moucherolle mit 2284 Meter Höhe. Da fahren wir morgen ruff
und dann runter nach Grenoble, wo Nulle unbedingt nicht hinwill.
Vielleicht begnügt man sich auch mit Romans sur Isère. Der Wein
von dort wurde heute bereits vorgekostet. "Nicht so gut wie in der
Schweiz", behauptet Nichtig. Dafür war der Apéritif besser als der
letzte. The view from the tower of Crest was one of the best. Jeder
Tag bringt neue Abenteuer. Obs morgen früh wieder schifft, wenn
wir aufwachen? gestern sind wir an Lavillededieu vorbeigefahren,
heute an Dieulefit und morgen? Dieu le sait. Mon dieu, parbleu.


22. Kapitel:         Crest  - Chabreuil

Nichtig und Winzig im Regen, jeudi,le 5 octobre. Als man in Crest
aus dem Fenster schaute war der Himmel noch gemischt, die Straßen
trocken, später Nebel und Gischt, der Regen prasselt und zischt.
Trockenpäuschen im Wartehäuschen. Vaunareys la Rochette heißt
der Ort, wo Nulle und Minime zwei feuchtklamme Stündchen in ei-
nem Wartehäuschen sitzen, das gerade für zwei Rösser und Reiter
Platz bietet. Zwei Straßen führen nach Vaunareys und sonstwohin
bergauf und lehmiggelbe Sturzbäche kommen runtergegossen, aus
dem Abfluß der Dachrinne einer alten Kirche links kommt ein
Schwall Wasser, aus dem Neubau rechts kieken Arbeiter, klettern
dann im strömenden Regen wieder aufs Dach, es blitzt und donnert
und die Berge links und rechts sind in dunkelgrauer Suppe
versunken. Viermal fährt derselbe Traktor vorbei, ein paar Eltern
von Vaunarey la Rochette fahren los und kommen dann später mit
ihren von der Schule abgeholten Kindern zurück. An unsrer
Kreuzung ist wieder mal ein Zeichen "La drome à vélo". In einer
Regenpause wäre zuvielgesagt, als der Regen ein bißchen
nachgelassen hat, übernimmt Nichtig die Verantwortung samt
Szepter. Brillenträger Winzig ist bei diesem Regen sichtbehindert. Ein
kleiner Abstecher nach La Rochette la vieux führt zu einem Hotel,
das wegen conge fermé ist. Der Regen ist wieder stärker geworden
und plötzlich ist die Straße mit einer dicken Lehmschicht überzogen,
von den angrenzenden Äckern rübergeschwemmt. Mon Dieu,
parbleu. Nach 21 km + x finden Winzig und Nichtig Obdach im
einzigen Hotel der centre ville (Hotel du commerce) in Chabreuil am
Véore. Besagter Nebenfluß der Rhone fegt hier gelb und äußerst eilig
rhonewärts. "Le Dauphiné" ist genügend Zeitung für zwei paar nasse
Schuhe. Meteo sagt für morgen nach Nebel Aufheiterung an und
Samstag solls sonnig und milde werden. An den Wochenenden ist
schönes Wetter in Frankreich gesetzlich vorgeschrieben. Nichtigs
Maultasche kam, ging, ist wieder da. In der einzigen Pizzeria von
Chabreuil gabs nur Pizza, Wein und Wasser, ein dicker Klotz liegt
über der Stadt, sieht aus wie der kleine Bruder des Donjon von Crest.
Röhren röhren wie in Zakopane, Grenoble ist jetzt nicht mehr weit.
Nulle und Minime sind schon ganz scharf drauf, auf dem Weg nach
Genf ein paar 1000 + x Meter hohe Pässe zu passieren. Die
Nullgradgrenze soll bei 1000 Metern liegen, laut Dauphiné. Hätten
wir doch statt des Zelts unsere Winterreifen mitgenommen. "Wenn
mal der Fluß in seinem Bettchen bleibt" wünscht Nichtig. Ebendort
enden Nichtig und Winzig auch an diesem Abend in Chabreuil sur
Véore.

23. Kapitel:         Chabreuil  - Beaurépaire

Rillette schreibt sich mit Doppel-L und Doppel-T gibt Nulle zu be-
denken. Nicht ganz unzufrieden, denn die Maultasche ist wieder auf,
der Zahnschmerz ist weg und drei  Berge, drei eingezeichnete Mi-
chelinsteigungen werden heute bezwungen, Regen gabs nur andeu-
tungsweise, mittags wurde eine der beliebten Fernfahrerkneipen
aufgesucht, es gab Nockerln mit Oliven in Tomatensoße mit totem
Tier, wie Nichtigs altmärkische Oma das gemacht habe, fromage sec
und chèvre, fromage blanc und eine zarte, saftige Schokotarte. Vor-
her hat man bei Romans die Isère überquert und ist mit
Zwischenhalt in der Cabaret Neuf Fernfahrerbar von der Isère 300
Meter höher geklettert, um dann auf Hautes Rives, Palais Idéal
niederzusausen, nochmal 130 Meter geklettert, um dann in
Beaurépaire einzulaufen, gleichzeitig mit dem Zirkus Allesandre
Bussolini, der mit Giraffen und Elefanten Nulle und Minime begrüßt.
Und bei einem späteren Gang durch die an der Hauptstraße
aufgebaute Zirkusmenagerie gibt es Löwen, Tiger, Bären, Pferde und
da man in der Drome ist, selbstverständlich auch zwei Dromedare,
Antilopen, Lamas und einen Stier mit zwei dicken Hörnern. Affen hat
Winzig keine gesehen, dabei haben grade die Affen vom Zirkus in
ganz Beaurépaire in beiden Boulangerien das Brot aufgekauft, so
daß sich Nicht und Winz mit Biozwieback aus dem Casino und nicht
winzigen Mengen fetter Pasteten begnügen müssen. Eine Flasche
Rouge aus dem Lubéron beugt drohender Übelkeit vor, in einer
Dependence vom Hôtel de Paris in der Rue Gutenberg hört man von
fern Zirkusmusik. Was macht dieser riesige Zirkus in dieser winzigen
Stadt? Die Tiere sehen unglücklich aus. Winzig prophezeit Nichtig
einen guten Schlaf. "Wenn ich nicht alles vollkotze", räumt Nulle ein.
Wir sind jetzt auf der Höhe von Le Péage de Roussillon, Kapitel 11.
Dieses Buch kann auch als Ring der Nibelungen gelesen werden.
Vormittags Frühnebel. "Nichtig, aufwachen!"



24. Kapitel:         Beaurépaire  - Crémieu

Samstag, der 7.Oktober, bringt noch mal volle Sonne und vier Berge
für Nulle und Minime. Drei Berge werden im Laufe des Tages auf der
Landkarte, der vierte im Laufe des Abends an der table d`hôte
(Auberge de la chaite) versetzt und bei diesem festlichen Anlaß
kommen zum erstenmal Madames Mafiaschuhe zum Einsatz. Es gibt
Terrine mit Rhabarbermus, Kruditäten mit einer ganzen
Artischocke, Féta aus dem Genfer See, Agneau, Käsesorten, Torten,
Eis und zur Verdauung in einem Riesenschwenker Armagnac (über
30 Jahre alt). Dem Nadelöhr von Vienne mit seiner Stadtautobahn
sind Minime und Nulle durch die Berge ausgewichen. Crémieu liegt
etwa auf halbem Weg zwischen Lyon und Aix-les-Bains. Am
Samstagmittag im Oktober täuscht die Stadt noch Hochbetrieb vor
und das Hotel an den Hallen ist voll. Winzig ist am Rande einer
digestiven Katastrophe, gestern ging es Nichtig ähnlich und da ging
alles gut. Mon Dieu, parbleu.

25. Kapitel:         Crémieu  - Mésériat

Sonntag. Winzig und Nichtig haben kaum Zeit, den hübschen Blick
durchs blumengeschmückte Fenster zu genießen. Man schläft gut in
Crémieu, quasi narkotisiert, bis man von den äußerst eindrucksvollen
Feuerwehrsirenen geweckt wird. Wahrscheinlich haben es wieder ein
paar Autofahrer zu eilig gehabt. Sonntags ist schönes Wetter gesetz-
lich vorgeschrieben, am Morgen liegt noch Poet Nebel überm Rhone-
tal, später kommt die Sonne durch und zwingt zu Schutzmaßnah-
men. Viele Radler sind unterwegs und Winzig und Nichtig stoßen
beim Ortsausgang auf einen Trupp Rennfahrer, der gerade abfährt
und schließen sich an. Aber während die Rennradler Richtung Lyon
entschwinden, müssen Nulle und Minime rhonewärts abbiegen und
kommen nicht mehr dazu, das Feld von hinten aufzurollen. Bei
Loyelles gehts über die Rhone und bei Pont Gallard über die Ain,
dann fährt man wieder durch die Dombes-Seenlandschaft und in
Chalamont wird in einem Debilenlokal gespeist, wo Winzig und
Nichtig vergeblich um Wasser zum Wein ersuchen, um später in der
Hitze beinahe zu verdursten. Zur Abwechslung ist Nichtig wieder am
Rande der Übelkeit, aber nach weiteren 46 km landet man unge-
wöhnlich spät, um sechs Uhr abends, in Mésérat, wos im ersten
Hotel kein Zimmer gibt und die Auskunft, die nächsten Hotels seien
in Nachbarstädten, aber dann gibts noch ein anderes Hotel, das ei-
gentlich zu hätte, aber uneigentlich gibts ein ruhiges Zimmer und
eine Bresse-typische Fischmahlzeit mit Ententerrine, Bavoiserien und
carpefilets. Das Hotel wird morgen früh um neun abreisen, die Be-
treiber desselben, also wird das Frühstück mit recht so heißen und
Vive la route! Weißwein aus Macon, kaltes Himbeersoufflée mit Scho-
kolores. Werden die leidgeprüften Mägen von N. und M. auch damit
fertig?            


26. Kapitel:         Mésériat  - Louhans

Zum Frühstück in Mésériat gibts Buchteln. Dann gehts durch die be-
rühmten Knicks der Bresse, die Minime an Finnland und Nulle an
Lothringen erinnern und die Sonne brennt. 9. Oktober. Wie-
sen, Wälder, Äcker, Kühe, Ziegen, Enten, Molkereitanks. Mittags auf
einem Rastplatz mit Tisch und Bänken kommen wir zu einem regio-
nalen Traktoristentreffen. Ein Mähdrescher scheint kaputt zu sein.
Ein Schild zeigt an, daß man durch die Bresse bourgignonne ra-
delt. Fischteiche und Geflügelfarmen. Dazwischen Ortschaften, die
an der Bewegung zur Blumifizierung Frankreichs teilnehmen.
(Mouvement pour la fleurissement de la France). Wunderbare Betten
im Hotel Poularde in Louhans und ein anständiges Menu mit filet de
Sébaste und fausse filet. Die Landschaft erinnert ein bißchen an die
Altmark und flache Teile Bayerns, Käseland Bresse, zwischen Ain,
Saone und Doubs. Letzteren wird man wohl schon morgen wie-
dersehn. Der Kaunt Daun lä
uft.

27. Kapitel:         Louhans  - Pierre en Bresse

Zumindest kommen W. und N. dem Doubs am Dienstag schon nahe
in Pierre en Bresse, wos ein altes Schloß aus dem 17. Jahrhundert
gibt mit Wassergraben und Park und einem Eco-Museum und
Ziegenböcken mit Bärten, wie Ulbricht gerne einen gehabt hätte.
Gleich gegenüber das Hotel du Poste, wo Nichtig und Winzig noch
rechtzeitig für ein menu du jour einlaufen. Konvoi exceptionel. Von
Louhans nur ein paar Dörfer, Knicks, Wälder und Felder, drei
Dutzend Kilometer, eine kurze Etappe und trotzdem Haarspray,
Haarspray, Haarspray. Dieses Schaukelpferd, kombiniert mit
Dreirad, sinniert Winzig, hätte auch gut ins Ecomuseum gepaßt, wo
auch ein Kinderfahrrad und ein Landfahrrad mit geflochtenem Korb
zu den vielen Utensilien gehören, die einem da so alt und vertraut
entgegenlachen. Butterschleudern und Käsezentrifugen, schöne alte
Tapeten samt Druckwalzen, ein Holzwagen voller wunderbarer
handgeschnitzter Feldfrüchte. Unten ist wieder ein Gelage im Gange,
aber Nulle, in einer Mischung aus Haarspray und Weltschmerz, hat
ihre Teilnahme abgesagt und triumphiert "du hast geduscht, nicht
ich". Richtig, Nichtig aber nicht so wichtig. Weinprobe oder
Betriebsausflug, nicht normal, daß keine Frauen dabei sind,
kombiniert Nulle messserscharf. 14 Autos, eins ist dazugekommen,
eins ist weggefahren, meldet Vorschotfrau Nichtig vom Ausguck. "Laß
man gut sein, das hätte unsre letzte Barschaft gekostet", tröstet Nulle
sich über die entgangenen Gaumenschrauben. Winzig ist d
ésolé. Es
dräuen der Jura, die Alpen und Vogesen und dann muß man auch
noch hungrig ins Bett. Zum Glück gibts noch ein paar Zwiebacke
und ein winziges Stück come-on-Bert. Das Schönste hätte Winzig fast
wieder vergessen, die alte Brücke über die Seille mit den
wunderbaren Spinnennetzen und den silbernen Tautropfen. Mon
Dieu!      


28. Kapitel:         Pierre en Bresse  - Arc et Senans

Sind wir noch in der Bresse oder schon im Jura? Merkwürdigerweise
landen Nulle und Minime an diesem Abend in Holland, Hotel de
Hoop, gleich neben dem berühmten Arc von Arc et Senans, das Sali-
nentor von Arc, nochn bißchen größer als die Propyläen von Monaco
della Bavaria und ganz aus Salz. Nichtig hat daran geleckt. Im Hotel
de Hoop hängt würdig Wilhelmine mit Gemahl, die Vorhänge sind
oranje, über dem Pißbecken vom Lokal ist ein Aschenbecher, der Blick
aus dem Fenster geht auf Appelboomjes, die Dusche ist genial, im
Wandschrank hinter einem weiteren oranje Vorhang steht ein Stuhl,
auf dem Winzig dankbar Platz nimmt, denn auf diesem Stuhl liegen
noch keine Nulleklamotten. Mon Dieu. Zwei Brücken über den
Doubs, zwei Brücken über die Loue. Wie man ein Moskito doutmacht
und sich dabei an seiner Gauloise verbrennt, demonstriert Nulle in
Holland, wo unten am milchbraunen Klavier mit überwiegend wei-
ßen Tasten ein Chopinsches Nocturno aufgeschlagen liegt. Hier sitzt
Mijnheer van de Hoop am eisernen Ofen, in dem die Holzscheite
prasseln, im Lehnstuhl, putzt Gemüse und hört auf seinem Weltemp-
fänger drei Kurzwellensender gleichzeitig. Winz und Nicht essen an
diesem Mittwoch zwei Menus, einmal französisch zu Mittag in Mont
sur Vaudry, einmal abends in niederländisch Arc et Senans. Mittags
Champignonsuppe, Kabrei und Mohrrüben mit Böf, Winzig ver-
schenkt sein Dessert. Prune aux vin. Bruno wer? Der letzte Berliner
Gast von de Hoop war der Berliner Justizvollzugschef***, der hier
vor kurzem Urlaub gehabt haben muss. Am meisten freut sich Nichtig
über "Zakjes vor het wegdoen van hygienische verbände", die sich
vorzüglich für die Kippenentsorgung eignen. Das Wetter hätte wie-
der garnicht besser sein können, ein bißchen Frühnebel, dann Sonne
über Äckern und Schatten im Wald. Morgen beginnt die letzte Wo-
che, dann wird weiter nach Basel zurückgekroche. Mon Dieu, Haar-
spray!

29. Kapitel:         Arc et Senans - Baumes- Les-Dames

Wiederaufnahme des Jurastudiums von Nichtig und Winzig in Form
von Wiesenbergen und Bimmelkuhlandschaften tagsüber, in Form
von flüssigem Rouge am Abend, samt schön eingelegtem Böf im
Hotel Abbaye in Baume-Les-Dames. Nachzutragen vom Vorabend:
ein intressantes holländisches Menu mit geräucherter Wurst  à la
Franche Comté, mit Klößen und Soße und Sommerrolle mit
exotischem Reis und Tomatenchutney. Als Kaffee wird hier an der
Schweizer Grenze häufig die bei uns zuland so genannte Plörre
verabreicht. Ob in Holland, ob in Baume, strengste Überwachung des
Verbots von Filterkaffee außerhalb von Strafanstalten ist das Gebot
der Stunde. RETTET DIE ESPRESSOMASCHINEN! Nichtig,
neuerdings apéritiefsinnig, konstatiert heute befriedigt die
Übereinstimmung von Apéritif und Böfsoße. Suze. Irgendwie sind
Berge sehr anregend und so läßt Nulle auch heute wieder ein Pfund
im Wald liegen. Sehr gut gefällt es den Winzigs auch in Nancre, wo
man kurz vor zwei ankommt, zum Essen zu spät, aber ein guter
Kaffee und kaltes Wasser sind auch nicht zu verachten. Einmal
fahren sie auf gut gewählten D- Straßen am Doubs entlang, dann
führt die Straße wieder in die Berge und kommt in einer
Siebenkilometer - Abfahrt zum Doubs bei Baume, von wo alle
Straßen erstmal aufwärts führen und ein saurer Apfel namens N83,
der morgen vielleicht angebissen wird, macht da auch keine
Ausnahme. Auch am Donnerstag, den 12. Oktober, anhaltender
Altweibersommer mit vielen Spinnfäden in der Luft und Spinnweben
an den Brückengeländern. Morgen ist Freitag, der Dreizehnte. Wird
etwas Furchtbares passieren? Wirds kein Brot geben, keine
Gauloises, kein Wasser, keinen Rotwein? Oder wird wieder eine
fliegende Maultasche am Horizont auftauchen?



30. Kapitel:         Baumes- Les-Dames - Ile-sur-le-Doubs

Ja, Freitag, der Dreizehnte. Langer Abschied von dem Haus der drei
Hinkenden: hinkende Greisin, hinkende Frau, hinkender Hund - al-
les war wunderbar, nur als Kaffee gabs ein Abführmittel. Langer Ab-
schied, weil Winzig über eine gewisse halbaufgeblasene Plattheit sei-
nes Hinterreifens sich nicht länger hinwegsetzen kann. Haarspray.
Pumpversuche bleiben ergebnislos. Allerdings fällt die Pumpe aus-
einander. Ein Fahrradladen wird gesucht und mit Hilfe des
Touristenbüros auch gefunden. "Fermé. Congé annuel". Auch mit den
Banken isses nicht ganz einfach. Nur Credit mutuel, weiß der Henker
wieso, am Ende der Stadt, nimmt Euroschecks. Der letzte Schlauch
wird eingezogen. Der Doubs bietet sich an. Déja vu. Andersrum.
Winzig ist im Laufe der letzten Tage durch zu wenig Luft im Reifen
oder durch zuviel Schwitzen und Duschen ein drittes Ei gewachsen,
er reitet an diesem Tag wie auf einem Kugellager, abends oder
mittags in diesem schönen Hotel de Paris konstatiert Winzig
Schüttelfrost und Fieber. Mon Dieu, parbleu! Keine Gaumenfreuden,
wenig Schlaf, Aspirin. Freitag der Dreizehnte. Solche Tage müssen
einfach sein, damit man weiß, was man an den anderen hat.

31. Kapitel:         Ile-sur-le-Doubs - Montbéliard

Das schöne Haus am Doubs ist immer noch à vendre. Letzte Pump-
versuche an dem in den Baume-les-Dames eingewechselten letzten
Schlauch zeigen: es geht noch mehr Luft rein. Und bleibt drin. Aus
dem Ventil kommt ein Staubwölkchen, aber die Luft bleibt drin. Und
Aspirin hat geholfen. Der Doubs mit seiner großen Schleife, das ist die
Franche Comté. Montbéliard, auf dem Hinweg durchgeradelt, wird
auf dem Rückweg Station. Hotel Balance. Im Restorang ist abends
Totentanz. Ein Sitzbad kann sehr angenehm sein. Die Räder
stehen auf dem Hof und prompt gibts am späten Nachmittag ein klei-
nes Gewitter. Ein Fahrradladen wird gesucht und mit Hilfe des Tou-
rismusbüros auch gefunden. Und siehe, er ist offen, wimmelt von
Kundschaft und hat auch den Reifen mit den von Winzig abge-
schriebenen Hieroglyphen, zwei Schläuche und etwas Ketten-
schmalz. So können wir, bis an die Halskrause mit nützlichen Utensi-
lien versehen, die letzten Etappen angehen. Im Balance Totentanz.
Das Schweiz-Bourgogner Ausweichlokal ist schlecht und teuer. Zä-
hes Fleisch, fades Gemüse, saurer Wein aus Orange, Spitzenpreise
und ein bestialischer Geruch von an den Nebentischen brodelnden
Fondues und Fleischhackern oder wie das Zeug heißt. Wieviele
Haarwäschen wird Nichtig brauchen, um den Geruch wieder aus der
braunsilbernen Mähne zu kriegen? Wie isses bei Glatzen? Da geht
der Geruch durch die Haut direkt ins Hirn. "Manuel Sanchez, Pont de
Veau" stand auf einer Tüte, die Winzigs feuchtgewordene Knie-
schoner enthielt, vorher Käse enthalten haben mochte und jetzt wie
auch die Gummiknie einen süßlich faulen Geruch verströmt. Man
muß gesehen haben, wie Nichtig vier- bis fünfmal noch angeekelt in
die Tüte rinschnupperte und den sich sträubenden Winzig ebenfalls
nötigen wollte, es ihr gleichzutun, bevor sie sich entschließen konnte,
die Tüte zu entsorgen, um zu verstehen, daß die Waisen des Himalaja
Glück von jeher als die Abwesenheit solcher Gerüche und den friedli-
chen Genuß von Yakbuttertee definierten.Omm.
Bierkrügeschwenkende Landsleute, die vorhin das mutmaßliche
Feinschmeckerlokal besetzt hielten, lärmen nachts vor dem Hotel.
Wahrscheinlich sind viele von ihnen über die Pont du Ludwigsburg
eingefallen. Ja, so war Mobiliar.  


32. Kapitel:         Montbéliard - Seppois le Bas

Beim Aufbruch von der Frühstücksveranda Winkewinke, am Morgen
hats noch genieselt. Französisches Kettenfett sieht aus wie Himbeer-
marmelade und riecht auch so. Ehrenwort. Die Pont du Ludwigsburg
führt nicht über den Doubs, sondern über einen gewissen Allan. Den
Doubs werden wir erstmal nicht wiedersehen, seine obere Hälfte
kommt aus den Alpen, wo diese schwindelerregenden Gorges de
Doubs auf der Landkarte aussehen, wie Köstlichkeiten auf der Spei-
sekarte im Fünfsternehotel für uns Habenichtse: für uns Bodenkrie-
cher unerreichbar. Mon Dieu. Aber wo wir mit unsern Rädern hin-
kommen isses auch ganz schön, zunächst fast auf die péage, die
Mautautobahn, dann in ein Gocartrennen und schließlich mit Hilfe
eines ortskundigen Radlers aus der Region auf die richtige D nach
Delle. Nichtig hat an einem Rastplatz ein Versteck gefunden, als sie
von einem joggenden Papi mit Tochter und Hund aufgestöbert wird.
Unbenützt wandert das Klopa in Winzigs riesige grüne Tasche mit all
den unnützen Utensilien wie Zelt, Schlafsack, Isomatte, neuerdings
durch den Ersatzreifen gebauscht. Und auch Nulle hat in ihrem Köf-
ferchen ein paar wenige nicht gebrauchte Gegenstände wie zum
Bleistift Schlafsack , Luftmatratze und Blasebalg. Ob es hier mehr ge-
regnet hat als bei uns, daß es hier so naß ist? fragt Nulle. "Nein", weiß
Winzig, "das sind die kleinen Erdmännchen, die nachts immer raus-
kommen und mit Pfützen schmeißen, damit die Pfützenjogger bei ih-
ren Waldläufen auch die gewünschte Schlammpiste vorfinden". In
Delle kommen wir gerade rechtzeitig zum Run auf die Pizzeria. Nich-
tig und Winzig kriegen wieder Tisch 3 und dann füllt sich das Lokal
mit Kindern, Pudeln, ausgestopften Hunden, Eltern, Dieter Scholla-
tour, zwei Glatzköpfen und die Hotelleriefamilie hat allerhand zu
tun. Winzniks ziehen sich nochmal zwei schöne Stückchen Böf rin
und chiffrierte Südfrüchte. In einem Waldstück hinter Delle fühlt
Winzig hinten eine feuchte Stelle. Das dritte Ei ist ausgelaufen, zwei
sind beim Radeln mehr als genug. Kein Zufall, daß das im Gesund-
gau passiert ist, wo man in Seppois-le-Bas im Hotel Boutilly " un certain
art de vivre" schätzen lernt. Jetzt kommts darauf an, die letzten Franc
gekonnt auf den Kopf zu hauen. Etwa dreißig Kilometer vor Basel
aber davor kommt noch Bisel. Wenns dann nochmal nicht bieselt oder
selbst wenn, dann haben Winzniks enormes Schwein gehabt mit ih-
rem Reisewetter: Nebel, Schatten, Sonnenküsse und nur zweimal
nasse Güsse. Was bringt ihr dan mit ins heimische Nest: Sonnen-
stich? Malaria? Beulenpest? Was wir uns persönlich im Lande des
Erbfeinds einverleibt haben, muß uns über den nächsten Berliner
Kohlrübenwinter retten. Mon Dieu, parbleu!

33. Kapitel:         Seppois le Bas - Basel

Winzniks nehmen das Frühstück vorangekündigt in einer Bäckerei.
Die Katze heißt Minusch, ist goldbraun und hinterläßt nach Auf-
enthalt auf Winzigs Frühstücksstresemann Kontrasthaare. Aber
nicht lange. dafür sorgt das Bürstenwichtel. Seppois-le-Bas, Seppois-
le-Haut, ein schönes altes Elsässerdorf mit vielen Fachwerkhäusern,
dann Landschaft, keine Berge, nur hügelig gewelltes Plateau mit
Wäldern, Wiesen, grasenden Vierbeinern. Bisel wird wieder bei
schönstem Wetter durchradelt, Feldbach, Riespach, Waldighoffen,
Gersbach und dann feiern Winznix ein zwei Stunden währendes
Fest der Gaumenfreude im "La Marmite" in MUESPACH. Ochsen-
maulsalattopfsülze und eingelegte Schalotten wie Winzniks Zungen
sie noch nie gekostet, geheimnisvolle Strudel mit weißem Fleisch und
Kohl in Blätterteig und Biersoße, ein köstliches Vanilleeis mit aufge-
setzter exotischer Frucht in einer  Soße aus dieser Frucht und Oran-
genschalen. Köstlichkeiten zum Apéritif und zum Kaffee. Es gibt eine
Extrakarte für Kaffeesorten und Tees. Mit acht oder neun
Kaffeesorten, die Winzniks eigentlich alle hätten probieren müssen.
Der starke Italiener wird mit dreierlei Zuckersorten kredenzt und
zwei Mandelkeksen pro Nase, einem braunen Trüffelpralinchen und
vier durchgeistigten Kirschen auf einer angedeuteten Schokosoße.
Das ganze Menu nannte sich "Le petit Sundgavien" osä für
lächerliche 130 Francs. Zu jedem Gang ein kleiner Vortrag über die
Ingredienzien, der köstliche Rouge d`Alsace wird nachgeschenkt und
zu den Apéritifs, Suze und Muscat, gabs Lachs und
Knoblauchcroutons und zum Schluß standen die beiden netten
Mädels und der Koch, ein verträumter bescheidener junger Mann,
Spalier, als wären Winznix Vipnix. Mondieu! Merci pour notre
deuxieme visite chez La Marmite (Der Kochtopf). Am erstenTag ihrer
Reise hatten Winznix hier bei leichtem Niselwetter ein leckeres
Baguette und Kaffee zur Stärkung gekriegt. Da waren wir gut in
Frankreich angekommen. Heute werden wir noch besser entlassen.
Und dann gehts abwärts Richtung Rheintal. Der Schweizer Zöllner
ruft bei unserm Anblick genau wie neulich im September :"Eins,
zwei, eins, zwei!". Man zählt auf uns Velofahrer. Grüezi Basel!
Komisch, daß man hier deutsch spricht, findet Nichtig. Ein Zimmer
im Cityhotel hätte 180 Fränkli gekostet, Hotel Baustelle am Bahnhof
hätte 260 genommen, im Stadthof am Barfüßerplatz gibts im dritten
Stock ein bescheidenes Quartier mit Extraschüsseln für Klo und
Dusche für 110 Franken. Das Hotel hat keinen Fahrradabstellraum,
aber überall am Barfüßerplatz und in ganz Basel gibts
Fahrradparkplätze und alle anderswo abgestellten Fahrräder werden
laut Hotelrezeptionsonkel nachts von der Polizei eingesammelt. Der
Aufdruck auf den Hygienebeuteln ist auch auf japanisch - wir
möchten gar nicht wissen mit welchen Druckfehlern, wenn schon die
Prospekte in der Landessprache ein "Eulerknozert" ankündigen. Ob
unsre Räder morgen noch dastehen? Wird der Barfüßer- zum
Plattfüßerplatz? Hätten wir vor der Überquerung desselben die
Schuhe ausziehen müssen, die dann von Basler Wixwichteln einge-
sammelt worden wären? Fragen über Fragen? Liabs Härgöttli, hoscht
uns guat bis Bosel zurigbracht. Merci.       
(Fortsetzung folgt)

34. Kapitel:         Basel

Dienstag,17. Oktober. Die vielen Radfahrer und der Tinguely- Brun-
nen vorm Theater mit seinen Wasserspeiern und Maschinen, ein
Kunstwerk, vor dem man Stunden sitzen möchte, resumiert Winz,
eine seelische Kläranlage. Tinguely- Brunnen möchten wir auch
einen haben, Fahrradkuriere gibts und Brotsorten zum Frühstück
auf der Rheinterrasse. Neun Musiker eines klassischen Konsortiums
sind mit ihren teilweise recht schweren Instrumenten, Baßgeigen
und Waldhörnern, aus dem nahen Freiburg herbeigeradelt, um
Winznix zusammen mit 499 mühseligen und beladenen Basler Kon-
zertabonnenten eine Freude zu machen mit Werken von Franz Xa-
ver Duschek, Josef Miroslav Weber und Luggi van B., oje. Vom
Treppenhausfenster des Konzertsaals genießt man mit verrenkten
Hälsen den Blick auf die auf dem Barfüßerplatz geparkten Velos.
Sauber ist die Trennung zwischen  der schönen Altstadt und Ciba-
geigytown, wenn man auf der mittleren Brücke steht. Die Schweizer
Bundesbahn vermietet Velos und verkauft sie nach einem Jahr zu
günstigem Preis. Es sind dies die beliebten Modelle "Helvetia" und
"Käseunion". Nichtig bedauert, daß Winzig den Prospekt mit der Kä-
seunion weggeschmissen hat. Von einem Fahrstuhl im Münster ist
Nichtig nichts bekannt. Blick auf Jura, Schwarzwald und Vogesen.
Mit dem Velo schon dagewesen. Die Entdeckung der letzten Reise
waren Duschhauben und diesmal Zakjes, faßt Nulle noch einmal
Sinn und Zweck von Winznix strapaziösen Luxusreisen zusammen.
Morgen droht ein Stalingrad, Unternehmen Selbstverlad. Münster-
uhr schlägt Geisterstunde, einen Satz von Hölderlin zwischen Fres-
ken und Arkaden wollte Winzig sich einprägen und nu isser weg.
"Nicht der Ähren Blüt`und der Purpurtraub Kraft...". Die Straßen-
bahn fährt vorbei und wir wissen nicht, ist sie grün oder gelb. Mei-
stens ist sie grün.. Die gelben haben tiefe Mittelbäuche für Rollstuhl-
fahrer.

35. Kapitel:         Basel - Berlin

Einen Tag und zwei Nächte später sehen Winznix die erste Tram in
der Osloer Straße im Wedding vorbeifahren. Das Wetter ist wie in
Basel. Das velophile Basel. Die Fährfrau der Münsterfähre Leu er-
zählt uns, daß noch vor 10 Tagen in Basel ein internationaler Velo-
kongreß stattgefunden hat und sie drückt den Winznix eine vorzügliche
Broschüre in die Hand über die Basler Velobewegung. Vor 10 Jahren
muß es in Basel noch ausgesehen haben wie heute in Berlin. Mit 20
engagierten Basiliken in einer Kneipe habe es angefangen. Sind in
Berlin die Kneipen zu klein? Schön sind die phantasievollen Aufkle-
ber "Auto des Jahres".

Basel, seine Radler, jung und alt, viele hübsche Kinderanhänger - so
sausen sie über die Rheinbrücken. Basel, der Tinguely-Brunnen und
das große Hängeteil in der Bahnhofshalle und die kleinen Flieger mit
Flugwichteln, Hühnern, Gänsen in der Bahnhofsbar. Und als Winz-
nix zum zweitenmal die Arkaden betraten, notierte sich Winzig auf
der Rückseite einer Hotelrechnung aus Montbéliard den Satz von
Hölderlin:

"Nicht in der Blüth`und Purpurtraub quillt heilige Kraft allein.
                       Es nährt das Leben vom Leide sich."

Hautru! (How true)
Und zum Leid gesellt sich Ekel, als das Rollkommando Minulli im D-
Zug nach Berlin sitzt bei dem Gedanken an gewisse widrige Um-
stände. Aber für die Abwesenheit allen Ärgers sorgten die Bahnwerk-
stätten Dessau, die seit der Hinfahrt Minullis ollen Schlafwagen ent-
zückend hergerichtet haben. Die obere Hälfte des Wagens war jetzt
aus durchsichtigem Jenaer Plexiglas und über jedem Bett baumelte
ein Okular zum Sternenteleskop auf dem Schlafwagendach. Merkur
hatte sich versteckt. Doch deutete der Lauf der Gestirne darauf hin,
daß Mitte nächster Woche die Dinge ins Lot kämen. Erdbeben in
Berlin? Unser Dank gilt dem Wind- und Wettergott und der Damen-
toilette am Andreasplatz in Basel, die rechtzeitig da war. Folgt man
den Hölderlinarkaden steht man plötzlich im 3. oder 4. Stock dieses
prächtigen Rathauses, wo die Stadtbeamten schönere Amtsstuben
haben als die Residenzen von Papst Paul und seinen Konkubienen.
Und Wespen. Und wenn Winzigs Nase sicht nicht täuschte, dann hat
schon Erasmus von Rotterdam sein Wasser am Pissoir an der Pfalz
abgeschlagen. Gefahrene Fahrradmeter: eine Million neunhundert-
sechsundzwanzigtausend. Über eine Müllion. Jetzt sind wir Müllio-
näre, ja sogar Metamüllionäre. Fin.

Liebe Leser, Ende Juni folgt-
"Eine Reise von NECKAR zur MOSEL"
    
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